Die Berliner Wirtschaft ist kein Sorgenkind mehr

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Die Wirtschaft in Berlin wächst erneut stärker als im Rest des Landes. Für 2019 sagen Volkswirte eine schwächere Entwicklung voraus.

Die Wirtschaft in der deutschen Hauptstadt ist im vergangenen Jahr das fünfte Mal in Folge stärker als im Rest der Bundesrepublik gewachsen. Das geht aus dem neuen Wirtschafts- und Innovationsbericht hervor, den Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) am Mittwoch vorstellte. Demnach stieg die Berliner Wirtschaftsleistung im Jahr 2018 um 3,1 Prozent an, bundesweit legte das Bruttoinlandsprodukt hingegen nur um 1,5 Prozent zu.

„Vom ehemaligen Sorgenkind der Republik ist Berlin zu einem wirtschaftlich starken Faktor geworden“, sagte Pop. Treiber des Berliner Wirtschaftswachstum war im vergangenen Jahr einmal mehr der Dienstleistungssektor, der mit 85 Prozent den größten Anteil an der Bruttowertschöpfung in der Hauptstadt hatte. Pop betonte, dass es sich bei den Dienstleistungen vor allem um Tätigkeiten handele, die rund um die Industrie und innerhalb der Digitalwirtschaft stattfänden.

48.000 neue Jobs in Berlin

Die Digitalwirtschaft sei auch Vorreiter bei der Generierung neuer Arbeitsplätze gewesen, sagte Pop. Jeder fünfte neue Job in der deutschen Digitalwirtschaft entstehe in Berlin, erklärte sie. Insgesamt zählte die Wirtschaftsverwaltung zwischen Mai 2019 und Mai 2018 ein Plus von 48.000 neuen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen.

Damit stieg die Zahl der Erwerbstätigen in der größten deutschen Stadt im vergangenen Jahr um 2,5 Prozent an. Das Wachstum fiel allerdings geringer aus als im Vorjahr, als Berlin beim Beschäftigtenwachstum noch ein Plus von 2,9 Prozent verzeichnete. Erstmals seit Ende des Zweiten Weltkriegs habe es aber wieder mehr als zwei Millionen Erwerbstätige im Land Berlin gegeben, so Pop.

Immer noch eine Gründerstadt

Großen Anteil am Arbeitsplatzaufbau hat nach wie vor die Start-up-Szene: Im Jahr 2018 wurden laut Bericht rund 40.000 Unternehmen in der Hauptstadt neu gegründet. Im Ländervergleich lag Berlin mit statistisch gesehen 111 Neugründungen pro 10.000 Einwohnern auf dem ersten Platz. Der Bundesschnitt betrug 66 Neugründungen.

Sektorübergreifend habe es in den vergangenen Jahren einen starken Zuwachs bei neuen Betrieben in Berlin gegeben, so die Wirtschaftsverwaltung. Demnach haben sich die Zahl der Firmen mit mindestens einem Beschäftigten in den letzten drei Jahren um 5,6 Prozent auf 98.800 erhöht. Deutschlandweit habe es im gleichen Zeitraum nur einen Anstieg um 1,3 Prozent gegeben.

Die gute wirtschaftliche Entwicklung komme bei den Menschen in Berlin an, betonte Senatorin Pop. So seien im vergangenen Jahr die Bruttolöhne nirgendwo in Deutschland so stark gestiegen wie in Berlin. Insgesamt haben die Volkswirte bei den Bruttolöhnen in Berlin ein Plus von 4,2 Prozent berechnet.

Berlin vergleichsweise krisensicher

Der Ausblick fällt allerdings verhaltener aus: Angesichts des bevorstehenden Brexit und des anklingenden Handelskriegs zwischen den USA und China erwartet die Bundesregierung für 2019 nur noch ein Wachstum von 0,5 Prozent. „Wir rechnen mit einem Wachstum von zwei Prozent“, sagte Pop. Das zeige, dass die Berliner Wirtschaft krisenfest und robust sei, sagte sie. Im Dezember war der Senat aber noch von 2,7 Prozent Wachstum ausgegangen.

Zuvor hatte die Wirtschaftssenatorin bereits in einem Interview mit der Berliner Morgenpost erklärt, dass auch die geringere Abhängigkeit vom Export Berlin zu einem „vergleichsweise krisensicheren Standort“ mache. „Zudem kommen Menschen zu uns, die das offene gesellschaftliche Klima schätzen. Wir profitieren zurzeit davon, dass sich Berlin international mehr und mehr als Standort für hochqualifizierte Fachkräfte etabliert“, sagte Pop.

Die FDP ist besorgt

Die Opposition sieht dennoch Anlass zur Sorge: Die Tatsache, dass die Wirtschaft in diesem Jahr wohl schwächer wachse als zuletzt, trage zur Ernüchterung und auch Besorgnis bei, sagte der wirtschaftspolitische Sprecher der FDP, Florian Swyter. „Die gesamte Situation ist eine Indikation dafür, dass Berlin nach wie vor gerade für Klein- und Mittelständige Unternehmen und Start-ups attraktiver gemacht werden muss“, erklärter er.

Die Wirtschaftssenatorin müsse sich unter anderem für eine Entbürokratisierung bei der Anmeldung, für Verwaltungsangebote auf Englisch und für einen vernünftigen Breitband- und 5G-Ausbau einsetzen, so Swyter. Auch der durch den Senat auf die Agenda gebrachte Berliner Mietendeckel oder auch das Vorkaufsrecht würden potenzielle Investoren verschrecken.

Auch die Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin äußerte Zweifel daran, ob „die Wirtschaft diesen Erfolgskurs unter zunehmend schwierigen politischen Rahmenbedingungen halten kann“. „Es gibt zwar viel, worüber sich der Wirtschaftsstandort freuen kann, doch ungetrübt ist das Investitionsklima sicher nicht. Enteignungsrhetorik und Regulierungsvorstöße sorgen für große Verunsicherung – den politischen Umgang mit Investoren bewerteten 60 Prozent der Unternehmen im Frühjahr als schlecht“, erklärte Henrik Vagt, Geschäftsführer Wirtschaft und Politik bei der Kammer.

Pop kritisiert den Bund mit Blick auf steigende Gewerbemieten

Unternehmern in der Hauptstadt bereitet zusehends auch die Flächenknappheit Sorgen: Senatorin Pop kündigte an, dass der Senat künftig auch Gewerbeflächen aufkaufen und selbst entwickeln werde. Zudem werde derzeit rechtlich überprüft, ob das Land Berlin etwas gegen die steigenden Gewerbemieten unternehmen könne, sagte die Wirtschaftssenatorin. Derzeit gebe es eine ähnliche Entwicklung wie auf dem Wohnungsmarkt. „Firmen melden uns, dass Mieten von mehr als 30 Euro und teilweise sogar 40 Euro pro Quadratmeter aufgerufen werden“, sagte Pop.

„Der Bund lässt Berlin bei den Gewerbemieten deutlich im Stich“, kritisierte sie. Für Gewerberäume gebe es keinen Kündigungsschutz und auch keinen Mietspiegel. „Wir werden nicht nachlassen“, kündigte Pop an.

Das Interview mit der Berliner Morgenpost vom 28.8.2019 finden Sie HIER