Rede von Ramona Pop auf der 58. Sitzung des Berliner Abgeordnetenhauses, 28.01.2010
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Radziwill! Zwischendrin hatte man den Eindruck, Sie verstehen selbst nicht, was Ihnen aufgeschrieben wurde.
Sie haben sich ja redlich bemüht, aber ganz ehrlich, wer soll Ihnen das noch glauben, nachdem Sie acht Jahre mit Rot-Rot in der Stadt regieren und mit der SPD – Sie persönlich wohl noch nicht – 21 Jahre lang Teile des Senats stellen? Wer soll Ihnen das denn glauben, dass jetzt aber wirklich ganz doll etwas passieren wird in der Stadt?
Ich finde es allerdings auch von der CDU gewagt, angesichts der Ignoranz ihrer Bundesregierung in dieser Frage eine Aktuelle Stunde zum Thema Armut hier einzubringen.
Ich weiß, es gibt Debatten in der CDU, dass die Bundeskanzlerin neuerdings links und sozial sei. Allerdings schafft es Schwarz-Gelb bislang, alle Vorurteile zu bestätigen, die man bei dieser Konstellation jemals haben konnte. Zuallererst haben sie Steuersenkungen beschlossen, die angesichts der Haushaltslage von Bund, Ländern und Gemeinden wohl nur extremistisch zu nennen sind, anstatt einen Mindestlohn für hart arbeitende Zimmermädchen zu beschließen. Wer dankt Schwarz-Gelb? – Der Hotelkettenbesitzer, besser gestellt durch Mehrwertsteuersenkungen. Sie von CDU und FDP haben im Wahlkampf den Menschen vorgegaukelt, Arbeit solle sich lohnen, wenn Sie regieren. Jetzt stellen alle fest, dass Schwarz-Gelb keine Politik für die Menschen macht, die hart arbeiten, sondern Klientelpolitik für die, die hart an die Koalition spenden.
Jeder von uns fragt sich doch, ob der Besuch eines Mövenpick-Hotels inzwischen als FDP-Parteispende vielleicht sogar abzusetzen ist. Auch bei der Neuordnung der Jobcenter – darüber reden wir gleich noch – haben Sie sich für die schlechteste aller Lösungen entschieden. Um dann von diesem Versagen abzulenken, haben CDU-Hardliner wie Roland Koch die Propagandaklassiker wieder ausgepackt: das Schimpfen über faule und arbeitsunwillige Arbeitslose. Diese Einlassungen lassen nur einen Schluss zu: Es soll Stimmung gegen arbeitslose Menschen gemacht werden, damit die Kürzungsrunde, die nach der Nordrhein-Westfalen Wahl fest eingeplant ist, ordentlich gegen arbeitslose Menschen und in die Arbeitsmarktpolitik hineinlangen wird.
Aber diese Bundesregierung ist nicht an allem schuld. Sie ist erst seit kurzem im Amt, und vielleicht wird sie irgendwann gar besser.
Wo steht Berlin nach acht Jahren Rot-Rot und 21 Jahren SPD-Regierung? – Berlin ist europaweit und vermutlich sogar weltweit die einzige Hauptstadt und Metropole ohne großstädtische Wirtschaftsstruktur und Wirtschaftskraft.
In Berlin erhalten knapp 570 000 Menschen von den Jobcentern ihren Lebensunterhalt. Das ist rund ein Fünftel der Stadtbevölkerung. Unter den deutschen Großstädten ist Berlin Schlusslicht, was das Pro-Kopf-Einkommen angeht: Mit 16 000 Euro liegt Berlin ziemlich weit hinten. Ganz gleich, welche Zahlen man sich auch anschaut: Das Bild ist ähnlich. Daraus schlussfolgert die Bertelsmann-Studie richtig, dass in Berlin das Armutsrisiko am höchsten ist.
Hat denn der Senat eine Strategie gegen die Armut, oder wird hier nur rumkrakeelt? Gewerkschaften und Wohlverbände fordern diese schon sehr lange. Offensichtlich erwarten sie aber von diesem Senat gar nichts mehr, weil sie selbst schon eine Armutskonferenz veranstalten. Diese erschreckenden Zahlen sind auch das Ergebnis einer verfehlten Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik. Nirgendwo gibt es so viele prekär Beschäftigte wie in Berlin: 360 000 Menschen leben von unter 900 Euro netto im Monat, über 100 000 Menschen müssen ergänzende Hilfe beim Jobcenter beantragen. Das ist das Ergebnis der rot-roten Vision von Berlin als Dienstleistungsmetropole, und das ist Rot-Rot auch anzulasten.
Wir dagegen wollen Berlin zum Vorreiter der Green Economy machen. Wir wollen Arbeitsplätze der Zukunft fördern und auf neue Technologien setzen, für ein neues, qualitätsvolles Wachstum in der Stadt und für neue, zukunftsfähige Jobs.
In den letzten Tagen wurde so intensiv wie lange nicht mehr öffentlich über die soziale Spaltung der Stadt diskutiert. Ich würde mir wünschen, dass die Debatte über den sozialen Zusammenhalt nicht immer nur dann stattfindet, wenn das jährliche Sozialmonitoring vorgelegt wird. Nüchtern muss man feststellen, dass Rot-Rot bislang hilflos zugesehen hat, wie die Stadt immer weiter – um in Ihrem Jargon zu bleiben – in arme Stadtteile auf der einen und sexy Stadtteile auf der anderen Seite auseinanderfällt.
Jetzt sind Aktionsräume das neue Zauberwort der sozialen Stadtentwicklung von Frau Junge-Reyer. Hier muss man sich fragen, wie ernst das mit der Bündelung gemeint ist, wenn in den sogenannten Aktionsräumen rund ein Viertel der Stadtbevölkerung lebt. Das ist keine zielgerichtete Politik mehr.
Man fragt sich, wie es diesmal gelingen soll, was zehn Jahre lang nicht gelungen ist, nämlich über Ressortegoismen hinweg die Kräfte und Gelder für schwierige Quartiere zu bündeln, wenn die beiden Koalitionspartner schon den Wahlkampf gegeneinander ausgerufen haben. Es war ja symptomatisch, dass zur gleichen Zeit, als Frau Junge-Reyer ihr Konzept der Aktionsräume vorstellte, auch die Sozialsenatorin zum Pressegespräch einlud – rein zufällig natürlich. Projekte gab es nicht so richtig zu vermelden, aber man hatte zumindest dem Koalitionspartner die
Show vermiest. Dieser Regierung soll ich jetzt glauben, dass jetzt aber wirklich die ressortübergreifende Anstrengung und Zusammenarbeit kommt? Da lachen ja die Hühner, könnte man sagen, wenn es nicht so traurig wäre.
Dass Sie jetzt endlich die Mittel für die Arbeitsmarktpolitik und Stadtentwicklung bündeln, dass das Schlagwort Bildung ernsthaft mit Leben gefüllt wird, in dem zum Beispiel in besonders schwierigen Kiezen die Schulen zu Magnetschulen ausgebaut werden, die für den gesamten Kiez als echte Ganztagsschule da sind, das glaube ich nicht. Sie kriegen es ja nicht einmal bei den Sekundarschulen hin, die Ganztagschulen auszubauen. Warum sollte es Ihnen hier gelingen? Kriegen Sie es hin, dass Kitas zu Familienzentren werden, wo Familien auch beraten werden, wo Eltern Sprachkurse bekommen? – Sie gucken etwas erstaunt. Vermutlich haben Sie von all diesen Dingen noch nie etwas gehört und noch nie darüber nachgedacht.
Man könnte sich auch europaweit umschauen, wie andere Städte das machen. Wir waren letztes Jahr mit dem Hauptausschuss in Barcelona. Der eine oder andere war dabei, und man lernt ja auch etwas auf Ausschussreisen.
In Barcelona werden schwierige Kieze dadurch aufgewertet, dass kulturelle Magnete wie Museen oder Institutionen wie Parlamente direkt in sie hineingesetzt werden. Diese Kieze werden nicht sich selbst überlassen, sondern richtig aufgemischt. Für Berlin hieße das, dass die neue Landesbibliothek nicht nach Tempelhof, sondern nach Neukölln, auf die andere Seite des Flughafens, kommt; dass die geplante Kunsthalle nicht in das schicke neue Bahnhofsviertel kommt, sondern nach Wedding oder Tiergarten.
– Sparen Sie sich Ihre Zwischenrufe, Frau Hiller! Das ist nicht ganz mein voller Ernst. Aber man könnte anfangen, nachzudenken.
Zum letzten Thema: In letzter Zeit gab es viele Chefsachen. Ich glaube, bezahlbare Mieten waren es auch einmal kurzzeitig. Allerdings habe ich mich gewundert, am 25. Januar in der „Morgenpost“ zu lesen, dass der Regierende Bürgermeister alle versteht, die Berlin wegen der niedrigen Mietpreise als Paradies ansehen, und dass die, die das anders sehen, wohl einen Tunnelblick hätten. Das finde ich schon ein starkes Stück vom Regierenden Bürgermeister. Zumindest verstehe ich jetzt, warum die Anstrengungen in Sachen Mietbegrenzung bei Ihnen eher verbaler Natur sind und unsere Anträge und Vorschläge alle bislang abgelehnt worden sind.
Auch mit der Liegenschaftspolitik kann man eine soziale Staatentwicklung beeinflussen. Wir haben vorgeschlagen: Verkaufen ist nicht alles. Man sollte soziale und kulturelle Belange berücksichtigen, wenn man verkauft, oder Baugruppen mehr unterstützen. Das hat bei Ihnen der eine oder andere auch eingesehen. Allerdings kommt dann der Regierende Bürgermeister und sagt, Baugruppen seien alle Gutverdiener und brauchten deswegen keinerlei Un-terstützung. Ich meine: Anstatt diese Leute zu beschimpfen, die Mehrgenerationenhäuser oder Häuser mit hohem ökologischem Standard bauen, Frau Radziwill, sollte man sie unterstützen, denn sie halten Familien in der Stadt und sorgen für weiterhin lebendige Innenstädte. Aber Sie sind ja immer nur auf Abgrenzung bedacht und reden nicht mit den Menschen.
Das ist der Unterschied: Wir meinen, dass nicht der Staat allein, sondern auch die Menschen in dieser Stadt – erst recht, wenn sie Gutverdiener sind – mit dafür verantwortlich sind, für sozialen Ausgleich und Zusammenhalt zu sorgen. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass viele Baugruppen offen für Vereinbarungen wären, wie sie sich für Einkommensschwächere oder Migranten öffnen könnten. So muss man die Dinge angehen!
Eines kann nicht unerwähnt bleiben: „Die HOWOGE vertreibt Mieter“ – das kam gleichzeitig zu Ihrer Klausur als Schlagzeile in der Zeitung. Eigentlich will man ja öffentliche Wohnungen haben, um das Mietniveau und bezahlbaren Wohnraum zu sichern. So weit die Theorie. Doch immer wieder fallen unsere Wohnungsbaugesellschaften dadurch auf, dass sie den Mietspiegel ignorieren oder – wie hier geschehen – einen hundertprozentigen Zuschlag auf die Miete erheben.
Es reicht offensichtlich nicht, Wohnungsbaugesellschaften zu besitzen – nach dem Motto „nice to have“. Man muss auch wissen, wie und wohin man sie steuert. Aber es ist so wie immer bei Ihnen: Sie haben zwar irgendwie eine Idee, wissen aber überhaupt nicht, wie sie umzusetzen ist. Ein Ideenpapier auf einer Klausur macht noch keine gute Regierung, Frau Radziwill! Sie werden all diese Fragen beantworten müssen: Was ist der Beitrag der Wohnungsbaugesellschaften des Landes zum sozialen Zusammenhalt, zur ökologischen Erneuerung, zur Quar-tiersentwicklung? Ob Ihre Kraft allerdings dazu reicht, diese Fragen zu beantworten, bezweifle ich.
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