Kultur – Tour am 8. Oktober 2010 mit Ramona Pop, Fraktionsvorsitzende, Alice Ströver, kultur- und medienpolitische Sprecherin und Franziska Eichstädt-Bohlig, stadtentwicklungspolitische Sprecherin:
Im Bezirk Mitte gehen für die dort angesiedelten Kultureinrichtungen gravierende Veränderungen vor. Während sich im ehemaligen Bezirk Wedding inzwischen neue kulturelle Initiativen etablieren (z.B. Ex-Rotaprint-Gelände, Kulturhaus Wiesenstrasse, Stadtbad Wedding, Uferstudios) wird der ökonomische Druck auch auf seit Jahren etablierte Einrichtungen im alten Bezirk Mitte immer stärker. Es trifft in aller Regel Kulturinstitutionen, die ohne öffentliche Förderung arbeiten müssen. Der Berliner Senat sieht hier keinen Handlungsbedarf, weil er im Grundsatz die Entwicklung den Kräften des Marktes überlassen will und seine Zuständigkeit im kulturellen Bereich ausschließlich auf den öffentlich geförderten Bereich fokussiert. Als Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus hingegen sagen wir, dass zur Sicherung der Vielfalt in Bezirken wie Mitte der Senat beratend und moderierend in die Auseinandersetzungen eingreifen muss, ggf. auch durch die Bereitstellung von Tauschgrundstücken. Dafür erwarten wir die Unterstützung des Liegenschaftsfonds und die politische Vorhaltung von Räumen in Teilbereichen der Stadt. Gerade da, wo sich kulturelles Leben ohne öffentliche Dauerförderung zum Teil auf hohem Niveau entwickelt hat, erwarten wir vom Senat eine Unterstützung, die manchmal weniger materieller als vielmehr beratender und vermittelnder Natur sein kann.
Mitglieder der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen aus dem Abgeordnetenhaus und aus der Bezirksverordnetenfraktion Mitte haben daher am 08.10.2010 ausgewählte Orte besucht, die aus ganz unterschiedlichen Blickrichtungen die Chancen und Risiken für Kulturstandorte in Mitte demonstrieren.
Alte Eisfabrik Köpenicker Strasse
Diese Immobilie wurde von einem privaten Investor erworben. Dieser hat bereits erfolgreich die Immobilie des heutigen Radialsystems auf der gegenüber liegenden Spreeseite entwickelt und damit einen in Berlin inzwischen sehr etablierten Kulturstandort mit privatem Kapital ermöglicht. Architekt und Investor haben auch für die ehemalige Eisfabrik ein kulturelles Nutzungskonzept entwickelt, das wir gern präsentieren und unterstützen möchten. Wir wollen heute den Protest gegen den am 18.11. geplanten Abriss der ehemaligen Kühlhäuser, die sich im Bundesbesitz (TLG) befinden, unterstützen.
Admiralspalast
Nachdem der damalige schwarz-rote Senat die Förderung als Operettenhaus in den 90er Jahren beendet hatte, hat eine private Investorengruppe das Gebäude vom Land Berlin für nur zwei Millionen Euro erworben und anschließend unter größten Anstrengungen zu einem Haus mit überwiegend kultureller Nutzung umgebaut.
Inzwischen sind die Gesellschafter verfeindet und der künstlerische Trägerverein insolvent. Dieses Haus ist mit nur 15 Jahren kultureller Nutzungsbindung höchst gefährdet, ein rein kommerzieller Betrieb zu werden. Wir fordern den Senat auf, sich in den Streit einzubringen mit dem Fokus auf eine langfristige Sicherung eines kulturellen Betriebes.
Tacheles
Die Eigentümergesellschaft, der das Tacheles gehört, ist insolvent. Die Nutzer zahlen keine Miete und sind miteinander verfeindet. Dennoch steht das Tacheles dafür, die neugestaltete Mitte Berlin nicht vollständig der Luxussanierung und ausschließlich auf kommerzielle Verwertung auszurichten. Als Atelierhaus ist das Tacheles immer noch für Künstler aus der ganzen Welt attraktiv, da sie dort mitten im Geschehen der Metropole leben und arbeiten können.
Wir wollen das Tacheles als Kulturstandort reaktivieren helfen und für innovative Kunst- und Kulturprojekte wieder zurückgewinnen. Wir fordern deshalb den Senat auf, in Gespräche mit der HSH Nordbank zu treten. Ziel des Landes Berlin sollte es sein, den Nutzern die Immobilie zum Erwerb vorzuschlagen oder ggf. der Eigentümer-Bank ein Tauschgrundstück anzubieten.
C/O Berlin
C/O Berlin ist als private Initiative von drei Akteuren der Kreativwirtschaft vor zehn Jahren entstanden und konnte sich mittlerweile zum erfolgreichsten und künstlerisch als ein wichtiger Standort der Fotokunst etablieren. Der Eigentümer des Postfuhramts, in dem C/O Berlin seinen Sitz hat, kann sich langfristig offenbar keinen Verbleib der Galerie vorstellen. In nächster Zukunft wird sich entscheiden, ob es gelingt, sich an einem neuen attraktiven Standort zu etablieren. Wir erwarten vom Berliner Senat, dass er behilflich ist, Probleme, die gegen die langfristige Sicherung der Kulturinstitution sprechen könnten, aus dem Weg zu räumen.
Schokoladen Ackerstrasse
Hier ist ein privater Eigentümer dabei sowohl die BewohnerInnen als auch die Kulturbetreiber aus dem integrierten Wohn- und Kulturarbeitsprojekt hinauszuklagen. Dieses Projekt sieht sich dem kommerziellen Verwertungsdruck des Eigentümers ausgesetzt. Auch an einem Runden Tisch wurden bisher keine greifbaren Ergebnisse erzielt, obwohl die NutzerInnen bereit sind, zu einem angemessenen Preis die Immobilie zu erwerben.
Kunstverein ACUD e.V.
Der Kunstverein ACUD ist ein selbstorganisiertes soziokulturelles Zentrum mit diversen kulturellen Angeboten vor allem für die Wohnbevölkerung der Umgebung. Auch hier befindet sich der Trägerverein inzwischen in der Insolvenz. Der Insolvenzverwalter und die Beteiligten im ACUD versuchen nun in einer sog. Planinsolvenz das Projekt fortführen zu können.
Artikel kommentieren