„Extrem personalisierter Wahlkampf war unklug“ – Ramona Pop im Interview mit der Berliner Morgenpost

Artikel von Jens Anker. Nach dem Richtungsstreit bei Berlins Grünen steht Ramona Pop nun allein an der Spitze der Fraktion. Im Interview mit Morgenpost Online spricht sie über politische Fehler, die Enttäuschung nach der Wahl, Flügelkämpfe, den Bruch mit Volker Ratzmann und die Perspektiven für 2012.

Morgenpost Online: Frau Pop, wie bewerten Sie das vergangene, turbulente Jahr?
Ramona Pop: Das war ein arbeitsreiches Jahr voller Höhen und Tiefen. Aber auch ein Jahr, in dem wir einiges erreicht haben. Wenn auch nicht das eingetreten ist, was wir uns erhofft hatten.

Morgenpost Online: Die Grünen starteten als Favorit in den Wahlkampf und wurden am Ende schwer enttäuscht. Haben Sie eine Erklärung?
Ramona Pop: Der Wahlkampf fing dieses Mal früh an, praktisch mit der Nominierung der Spitzenkandidatin. Anfang des Jahres hatten wir hohe Umfragewerte von 30 Prozent, als wir gerade Renate Künast nominiert hatten. Als es dann mit den Umfragen wieder bergab ging, konnten wir nicht gegensteuern.

Morgenpost Online: War es ein Fehler, auf Sieg zu setzen?
Ramona Pop: Dieser Wahlkampf war für uns Grüne absolutes Neuland und ein großes Wagnis. Zum ersten Mal haben wir um Platz eins gekämpft. Wir haben zwar unser bestes Ergebnis erzielt, sind aber im Rennen um den Sieg abgeschlagen auf Rang drei eingelaufen. Trotzdem glaube ich, dass wir Einiges erreicht haben.

Morgenpost Online: Welche Fehler haben Sie gemacht?
Ramona Pop: Im Rückblick war die Entscheidung für einen extrem personalisierten Wahlkampf unklug, dessen ganzes Wohl und Wehe an der Spitzenkandidatin hing. Wir haben gemerkt, dass wir von 13 Prozent kommen und die Strukturen der Partei nicht für einen 20 Prozent plus-Wahlkampf ausreichten.

Morgenpost Online: Nach der Wahl eskalierte die Situation in der Fraktion. Es kam zum offenen Grabenkampf. Welche Erklärung haben Sie dafür?
Ramona Pop: Die Heftigkeit hat auch mich überrascht. Uns haben noch nie so viele Menschen gewählt, aber trotzdem hatten wir das Gefühl einer doppelten Niederlage. Wir haben das Wahlziel nicht erreicht und sind auch nicht an der Regierung beteiligt. Aus dieser Situation heraus brach sich die Enttäuschung ihre Bahn. Das ist menschlich. In der Politik wird dann gestritten, ob wir nicht mit einem anderen Wahlkampf mehr Stimmen erreicht hätten. Diese Diskussion werden wir in den kommenden Wochen führen. War der Kurs der Eigenständigkeit richtig? Machen wir weiter Politik für die ganze Stadt und nicht allein für einzelne Bezirke oder Milieus?

Morgenpost Online: Sie gelten als Vertreterin des Realo-Flügels, also als Verfechterin der Eigenständigkeit?
Ramona Pop: Uns haben trotz eines sichtbar verunglückten Wahlkampfes mehr Menschen denn je gewählt. Deswegen denke ich, dass die Idee, eigenständig alle Politikfelder und nicht nur typisch grüne Themen zu vertreten, richtig ist.

Morgenpost Online: Am Ende des Streits in der Fraktion standen Sie allein an der Fraktionsspitze. Ihr Kollege Volker Ratzmann trat zurück und es wurde kein mehrheitsfähiger Nachfolger gefunden. Fühlen Sie sich allein gelassen?
Ramona Pop: Nein, ich fühle mich keineswegs verlassen. Alle anderen Fraktionsvorsitzenden hier im Haus fühlen sich ja auch nicht verlassen. Die Fraktion hat einen handlungsfähigen Vorstand mit vielen neuen Mitgliedern. Das steht auch für einen Neuanfang. Ich fühle mich als Vorsitzende für die ganze Fraktion und weiß um meine Verantwortung.

Morgenpost Online: Der Streit eskalierte, weil der linke Flügel einen Posten für sich beanspruchte.
Ramona Pop: Die Fraktion ist dem bei dieser Wahl in ihrer Mehrheit nicht gefolgt. Ich habe aber jetzt den Eindruck, dass wir uns gemeinsam auf den Weg machen. Wir können es uns nicht leisten, uns länger mit uns selbst zu beschäftigen. Je mehr die Schwächen dieser Regierung sichtbar werden, desto mehr wird gute Oppositionsarbeit gebraucht.

Morgenpost Online: Wie bewerten Sie den Start der neuen Regierung?
Ramona Pop: Es ist schon erstaunlich, wie schnell sich die Gute-Laune-Koalition aus den Verhandlungen in einen sehr schwachen Senat verwandelt hat. Wo hat es das schon gegeben, dass ein erster Rücktritt bereits vor der Regierungserklärung erfolgte. Dieser Senat ist kaum nach Fachkompetenz, sondern nach Parteiproporz besetzt. Wenn man sich die aufgeblähte Staatssekretärsriege anschaut, hat man den Eindruck, diese könnten gleichzeitig ein Treffen der Kreischefs beider Parteien machen und keiner würde fehlen.

Morgenpost Online: Sind das nicht die üblichen Anfangsschwierigkeiten einer neuen Regierung?
Ramona Pop: Rot und Schwarz haben Stabilität und Vernunft versprochen, wo bleiben diese? Die Suche nach einem Justizsenator und der Streit um den Polizeipräsidenten halten an. Und wo ist eigentlich der Regierende Bürgermeister? Der ist abgetaucht und macht erst einmal Urlaub, obwohl der Senat noch nicht vollständig besetzt ist und die unsinnige Trennung von Wissenschaft und Forschung nur Probleme macht. Auch in der Causa Braun hat sich Klaus Wowereit trotz Richtlinienkompetenz herausgehalten. Es gibt eine Winterpause, ohne dass die Hausaufgaben erledigt sind.

Morgenpost Online: Das müsste der Opposition in die Karten spielen?
Ramona Pop: Wenn man sich anschaut, dass wir wie jeden Winter Probleme mit der S-Bahn haben und wir uns leider freuen müssen, dass es keine weiße Weihnacht gibt, weil man sonst Schlimmes für die S-Bahn oder den Winterdienst fürchten müsste, kann ich mich wenig darüber freuen, dass der Senat abgetaucht ist.

Morgenpost Online: In seinen ersten Entscheidungen hat der Senat beschlossen, den Bezirken mehr Geld zu geben und sich als Schaufenster der Elektromobilität zu bewerben. Fürchten Sie, dass der Senat Ihre Themen vereinnahmt?
Ramona Pop: Gegen sinnvolle Politik kann ja keiner was haben. Die Bezirke sind tatsächlich in den vergangenen Jahren allein gelassen worden, gerade in der Frage der Sozialausgaben, die stark angestiegen sind. Allerdings sehe ich bei Rot-Schwarz nicht, dass aus dem Treberhilfe-Skandal irgendwelche Lehren gezogen werden.

Morgenpost Online: Was sollte aus Ihrer Sicht geschehen?
Ramona Pop: Eine stärkere Kontrolle der Sozialleistungen, so dass das Geld bei denen ankommt, die es brauchen, und nicht in Maseratis bei Herrn Ehlert und Co landet. Nicht nur in dieser Frage ist der Koalitionsvertrag ein glibberiger Pudding aus Prüfaufträgen. Die Einführung der Brötchentaste fürs Parken mag hilfreich sein, ist aber das einzig Konkrete in der Wirtschaftspolitik. Der Rest ist Prüfen und Vertragen. Das ist schwach.

Morgenpost Online: Die Grünen konnten ihre Wirtschaftskompetenz bislang aber auch nicht nachweisen.
Ramona Pop: Seit Jahren wird darüber diskutiert, was wir in Berlin brauchen. Mit grünem Wirtschaften kann man schwarze Zahlen schreiben. Das machen uns andere Bundesländer ja vor. Die Bayern setzen inzwischen sehr stark auf regenerative Energien. Davon sehe ich in Berlin nichts. Ich habe den Eindruck, die Vorstandsetagen der Energie- und Automobilkonzerne sind grüner als dieser Senat. Es droht eine neue Finanzkrise und in zwei Jahren gibt es Bundestagswahlen.

Morgenpost Online: Worauf wird es 2012 ankommen?
Ramona Pop: Die Finanzkrise ist im Kern eine Schuldenkrise und sorgt bei den Menschen für Unsicherheit. Wir müssen unsere Schulden in den Griff bekommen, Rot-Schwarz mit seinen 63 Milliarden Euro Schulden steht hier besonders in der Verantwortung. Der Senat verspricht 2016 keine neuen Schulden mehr zu machen, gleichzeitig plant er zahlreiche neue Projekte, die Geld kosten. Wenn ich mir ansehe, dass das Mietenproblem allein durch staatlich geförderten Neubau behoben werden soll, denke ich: „Nachtigall, ich hör dir trapsen.“ Wohnungsbauförderung à la West-Berlin will wohl niemand mehr. Das war teuer und hat kaum was genutzt. Ich wage zu bezweifeln, dass das Ziel, ab 2016 keine Schulden mehr zu machen, von diesem Senat geschafft wird.

Morgenpost Online: Es muss doch aber Investitionen geben, damit die Berliner Wirtschaftskraft im Bundesvergleich nicht mehr am Ende steht?
Ramona Pop: Investitionen ja, aber welche? Im Koalitionsvertrag werden lauter neue Großprojekte geplant. Eine neue Landeszentralbibliothek ist schön, aber wir sollten uns besser auf Zukunftsinvestitionen in die Infrastruktur und energetische Sanierung konzentrieren. Die mittelfristige Finanzplanung sieht vor, dass jährlich 250 Millionen Euro an Ausgaben gestrichen werden.

Morgenpost Online: Ist das realistisch?
Ramona Pop: Das sehe ich nicht. Wenn ich mir anschaue, dass die Risiko-Immobilien aus der Bankgesellschaft auf persönlichen Wunsch des Herrn Saleh – dem teuersten SPD-Fraktionschef aller Zeiten – nicht verkauft werden, sondern Rot-Schwarz sie behält und in diese Schrottimmobilien investieren muss, dann sehe ich vor allem, dass sich die Haushaltsrisiken anhäufen.

Zur Person: Ramona Pop wurde 1977 in Temeschburg in Rumänien geboren und wuchs dort auf. 1988 zog sie nach Deutschland, lebte in Münster. Nach dem Abitur am Wilhelm-Hittorf-Gymnasium studierte sie Politikwissenschaften an der Westfälischen-Wilhelms-Universität in Münster und an der Freien Universität in Berlin. Zu Studienbeginn 1997 trat sie in die Partei Bündnis 90/Die Grünen ein. 1999 war sie Praktikantin der Fraktionschefin im Berliner Abgeordnetenhaus, Renate Künast. Seit 2001 ist Ramona Pop Mitglied des Abgeordnetenhauses und seit 2006 arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Partei. Im Jahr 2009 wurde die 34-Jährige zur Fraktionsvorsitzenden der Grünen, gemeinsam mit Volker Ratzmann, gewählt. Seit dessen Rücktritt am 15. November 2011 steht sie nun seit zwei Monaten allein an der Spitze der Partei.

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