Flüchtlinge: Potentiale müssen wir heben

DSC_1882Interview mit Ramona Pop aus dem aktuellen Paritätischer Rundbrief

Ramona Pop wurde im rumänischen Timisoara geboren und zog 1988 nach Münster in Westfalen. Dort begann sie ein Studium der Politikwissenschaft, das sie 2003 am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin abschloss. Bei Bündnis 90/Die Grünen engagiert sie sich seit 1997. Seit 2001 ist sie Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, 2009 wurde sie zur Fraktionsvorsitzenden gewählt. Die Fragen stellte Miguel-Pascal Schaar.

Frau Pop, wie steht es um die Frauenpolitik im Land Berlin?

Ramona Pop: Frauen- und Gleichstellungspolitik ist nicht allein ein Thema für den 8. März. Ich bin froh, dass Berlin heute im Bundesvergleich in der Frauenpolitik positiv hervorsticht. Viele frauenpolitischen Instrumente wurden durch unsere Initiative beziehungsweise unter grüner Beteiligung auf den Weg gebracht. Dazu gehört etwa die Frauenförderung an den Hochschulen. Aber auch dass große Berliner Landesunternehmen von der BSR bis zur BVG von Frauen geführt werden, ist eine gute Entwicklung. Berlin ist zwar im bundesweiten Vergleich nicht schlecht aufgestellt, was die Kinderbetreuung angeht, nichtsdestotrotz fehlen noch immer tausende Betreuungsplätze, und flexible Betreuungsangebote sind noch ausbaufähig. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Männer und Frauen ist uns ein zentrales Anliegen.

Welche Themen und Inhalte rechnen Sie zur Frauenpolitik? Was würden Sie tun, um Bewegung in diese Bereiche zu bringen?

Ramona Pop: Einkommen, Karrierechancen und doppelte Belastung durch Familie und Beruf – grundsätzlich sehen wir, dass für die Gleichstellung in Berlin noch einiges getan werden muss. Wichtig ist uns der Abbau der teils immer noch gravierenden Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen. Wir setzen uns für eine bessere Umsetzung des Landesgleichstellungsgesetzes ein, um beispielsweise auch in den Aufsichtsgremien der landeseigenen Betriebe und Beteiligungsunternehmen eine paritätische Besetzung zu erreichen.

Politik kann viel, aber nicht alles regeln. So ist uns auch das gesellschaftliche Engagement der  Berlinerinnen und Berliner wichtig. Das unterstützen wir mit aller Kraft – und zwar nicht nur im Parlament. So vergeben wir seit 2013 den „Hatun-Sürücü-Preis“, mit dem wir Menschen und Initiativen auszeichnen, die sich tatkräftig und mit viel Herz für die Selbstbestimmung und Gleichstellung von Mädchen und jungen Frauen einsetzen.

Sie haben sich intensiv mit der Situation von Flüchtlingen auseinandergesetzt. Wie bewerten Sie die Flüchtlingspolitik des Senats?

Ramona Pop: Wir erleben, dass in den letzten Jahren immer mehr Menschen vor Krieg und Verfolgung flüchten und bei uns Schutz und Hilfe suchen. Allein im Jahr 2015 werden rund 20 000 weitere Flüchtlinge nach Berlin kommen, es ist unsere Aufgabe, sie willkommen zu heißen. Die grüne Fraktion hat sich aktuell auf ihrer Fraktionsklausur mit den Herausforderungen der steigenden Flüchtlingszahlen auseinandergesetzt und ein umfassendes Flüchtlingskonzept erstellt. Die bisherige Politik des Senats ist vor allem von Kurzfristigkeit geprägt – gerade in der Frage der Unterbringung von Flüchtlingen. Der Zuständigkeitsstreit zwischen den unterschiedlichen Behörden verzögert Entscheidungen. Ebenso ist die geringe Einbeziehung der Bezirke in die Planung ein Fehler. Bislang kann ich nicht erkennen, dass der rot-schwarze Senat eine Gesamtverantwortung für die Fragen von Unterbringung, Gesundheitsversorgung, Bildung, Ausbildung und Arbeit übernimmt. 

Was fordern Sie?

Ramona Pop: Berlin braucht ein breites Bündnis für Flüchtlinge. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller muss deshalb einen flüchtlingspolitischen Gipfel für Berlin nach dem Beispiel Baden-Württembergs ins Leben rufen. Dabei gehören die Bezirke, Wohlfahrtsverbände, Kirchen und die Zivilgesellschaft mit an den Tisch. Es braucht ein flüchtlingspolitisches Gesamtkonzept, in dem konkrete Maßnahmen beschlossen und Verantwortlichkeiten festgelegt werden. Vor allem müssen die Bezirke stärker als bisher einbezogen werden und mit Verantwortlichkeiten sowie den zur Umsetzung erforderlichen Mitteln ausgestattet werden.

Was würden Sie tun, um der Ankunft der erwarteten 20.000 Flüchtlinge in der Hauptstadt zu begegnen?

Ramona Pop: Durch Bündelung der Zuständigkeiten wollen wir insbesondere bei der Unterbringung eine Abkehr von der Not- und Turnhallen-Unterbringung hin zu dem Einsatz von landeseigenen Gebäuden und als Ziel die Unterbringung in Wohnungen zu erreichen. Zudem muss das Landesamt für Gesundheit und Soziales neu aufgestellt werden. Hierfür braucht es neben einer neuen Struktur auch eine bessere Ausstattung mit Personal und Räumen. Gleichwohl muss besser kommuniziert werden. Mangelnde Information, das Beschlagnahmen von Turnhallen und der Aufbau von Containern führen bei der Bevölkerung zu Verunsicherung. Dabei ist die Hilfsbereitschaft der Berlinerinnen und Berliner sehr hoch, zahlreiche Initiativen unterstützen vor Ort die Aktivitäten. Das darf nicht durch planloses Senatshandeln aufs Spiel gesetzt werden.

Auch muss die Gesundheitsversorgung für Flüchtlinge verbessert werden. Wir halten das Asylbewerberleistungsgesetz für falsch und setzen uns für dessen Streichung ein. Das Ziel muss sein, dass Flüchtlinge ganz selbstverständlich in die Regelsysteme eingegliedert sind. Hier sehen wir die Gesundheitskarte als ein wesentliches Instrument. Letztlich bleibt die Integration von Flüchtlingen eine Kernaufgabe – und diese fußt auch auf Chancengleichheit und Gerechtigkeit am Arbeitsmarkt. Darum wollen wir die vielen Hürden abbauen, die den Zugang zu Ausbildung und Arbeit erschweren. Dazu gehört etwa die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse. Oft stellen wir fest, dass Flüchtlinge ausgeprägte Kompetenzen, eine hohe Motivation oder hochwertige Berufs- und Hochschulabschlüsse mitbringen. Diese Potentiale müssen wir im besten Sinne einer „Win-Win-Situation“ heben. Dafür ist der frühe Zugang zu Sprachkursen mit der Möglichkeit von fachspezifischer Gewichtung erforderlich.

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