In Berlin schlägt das Herz der Deutschen Einheit

Gastbeitrag von Ramona Pop im Handelsblatt.

Am Tag der Deutschen Einheit lohnt nicht nur ein Blick auf unser Land. In Berlin zeigt sich, wie Fortschritt und Weltoffenheit funktionieren.

Heute blicken wir zurück auf fast drei Jahrzehnte deutscher Einheit. Aber eigentlich feiern wir an diesem wichtigen Tag gleich dreierlei Einheiten. Erstens die Einheit Deutschlands. Zweitens die Einheit Berlins. Und drittens die Einheit Europas. Hier geht es weiter auf die Seiten des Handelsblatt, 3.10.18.

Zu schnell vergessen wir: Diese Einigungen hängen untrennbar zusammen. Allein die europäische Einigung machte die Wiedervereinigung möglich. Ein geeintes, souveränes Deutschland in der Mitte Europas wäre völlig undenkbar und für viele Nachbarn bedrohlich gewesen – hätte unser Land nicht gerade durch die europäische Einigung zu einer neuen, friedlichen und konstruktiven Rolle in Europa gefunden.

Die Berliner Teilung, mitten durch die Stadt – sie war historisch einzigartig. Und ebenso einzigartig war die Erleichterung, das Aufatmen, als Berlin wieder eins wurde; und Nachbarn zu Mitbürgerinnen und Mitbürgern.

Drei Jahrzehnte später können wir konstatieren, dass die Geschichte Berlins nach der Einigung sich in mehr oder minder drei Akten vollzogen hat: Wende, Konsolidierung und nachhaltiger Aufschwung.

In der Wendezeit zunächst die Euphorie: ungeahnter Konsum, massives Wachstum. Manche sprachen damals von absehbar 5 Millionen Einwohnern in Berlin und mehr – ein Wachstumsmarkt mit unbegrenzten Möglichkeiten. Es wurde groß gedacht, groß geplant, groß geklotzt.

Darauf folgte schnell das Rendezvous mit der Realität. Mit dem Auslaufen der Berlinförderung fiel die Berliner Wachstumsrate Mitte der Neunzigerjahre schlagartig unter das bundesdeutsche Niveau.

In beiden Stadthälften musste sich die Wirtschaft neu aufstellen. Die Wirtschaftsstruktur im Osten der Stadt erfuhr nach dem Zusammenbruch der Planwirtschaft und der Auflösung der Betriebe einen enormen Schock. Auf der anderen Seite musste sich auch die hochsubventionierte Wirtschaftsstruktur in Westberlin neu finden.

Insgesamt verlor Berlin nach der Wiedervereinigung mehr als 100.000 Industriearbeitsplätze. Bis Mitte der Zweitausenderjahre lag die Wachstumsrate in Berlin nicht nur unter dem Bundesdurchschnitt – wir erinnern uns auch an bittere Jahre, in denen die Berliner Wirtschaft sogar schrumpfte. Der völlig aus den Fugen geratene Berliner Haushalt musste saniert werden, „bis es quietscht“. Und es quietscht an manchen Stellen bis heute noch.

Berlin wächst weiter

Wenn man sich die Häme anschaut, die Berlin heute manchmal entgegenschwappt, dann fragt man sich: Ist die Geschichte der Hauptstadt – Krieg, Befreiung, Teilung – etwa schon vergessen?

Es stimmt: Keine andere europäische Hauptstadt ist ärmer als der Landesdurchschnitt. Aber durch welche andere europäische Hauptstadt verlief über Jahrzehnte eine Mauer?

Inzwischen ist die Berliner Wirtschaft auf einem unglaublich dynamischen Wachstumspfad. Wohin man auch schaut: Berlin wächst – bei Investitionen, Arbeitsplätzen, Einwohner, eigenen Steuereinnahmen. Schon seit Jahren wächst die Berliner Wirtschaft schneller als der Bundesdurchschnitt.

Das kommt bei den Menschen an: Allein seit der rot-rot-grüne Senat im Amt ist, sind in der Hauptstadt 100.000 neue Arbeitsplätze entstanden. Zehntausende Menschen, die einst als Langzeitarbeitslose abgestempelt wurden, stehen heute in Lohn und Brot. Parallel dazu erwirtschaftet der Berliner Haushalt Überschüsse in Milliardenhöhe. Die jahrelange harte Arbeit der Konsolidierung macht sich bezahlt.

Im Unterschied zu früheren Boomphasen steht der neue wirtschaftliche Aufschwung der Hauptstadt auf einem soliden und nachhaltigen Fundament. Berlin ist Hauptstadt des vereinten Deutschland, aber auch Hauptstadt der Digitalisierung geworden. Deswegen spielt sich die wirtschaftliche Transformation der Bundesrepublik ganz maßgeblich auch hier ab.

Startup-Schmiede

Wo werden die meisten Start-ups gegründet? Wo fließen Milliardeninvestitionen in zukunftsweisende Technologien? Wo werden die klimafreundlichen Mobilitätskonzepte der Zukunft ausprobiert? Und wo verhilft die Verknüpfung mit Digitalisierung und moderner Forschung auch „klassischer“ Industrie und „traditionellen“ Dienstleistungen zum Durchbruch? Natürlich in Berlin.

Das liegt einerseits an den attraktiven Rahmenbedingungen: der bestehenden Unternehmensstruktur, den bisher vergleichsweise geringen Lebenshaltungskosten, der Nähe zu vielen europäischen Märkten. Andererseits gestalten wir Berlin als einen lebenswerten und weltoffenen Ort. Wir setzen Impulse für Innovation und bringen Wissenschaft und Wirtschaft zusammen – das ist der Schlüssel.

Die wirklich knappe Ressource des 21. Jahrhunderts sind findige Menschen. Und hier liegt Berlins eigentliche Stärke. Berlin ist offen für Neues – vom Handwerk bis zur Universität. Berlins Hochschulen und Forschungsinstitute sind ein immenser und wachsender Nährboden für neue Ideen. Ob aus Stuttgart oder Paris – Menschen ziehen nach Berlin, um hier ihre Ideen für die Zukunft umzusetzen und die Internationalität und Weltoffenheit der Stadtgesellschaft einzuatmen.

In den Berliner Büros, Fabriken, Laboren und Kneipen wird die deutsche Einigung gelebt – aber eben auch die europäische, und die Berlinerische. Berlin hat allen drei Einigungen viel zu verdanken: politisch, kulturell und eben auch wirtschaftlich. Angesichts der neuen und wachsenden Herausforderungen unserer Demokratie müssen wir uns auch darüber klar sein, dass diese Errungenschaften uns nicht einfach in den Schoß gefallen sind: sie müssen Tag für Tag aufs Neue verteidigt werden.

Heute feiern wir den Tag der Deutschen Einheit, im kommenden Jahr 30 Jahre Mauerfall. Freiheit, Demokratie, Weltoffenheit – das waren, sind und bleiben Herzensangelegenheiten für alle Berlinerinnen und Berliner.

Die Autorin ist Bürgermeisterin und Senatorin für Wirtschaft, Energie und Betriebe des Landes Berlin.