Dienstag, 27. April 2010
Alle Parteien haben sich ein Jahr vor der Wahl zum Abgeordnetenhaus dem Thema Wohnen verschrieben. Über landeseigenen Wohnungsbestand, nötige Sanierungen und die Erfolgsaussichten für die Grünen bei der Wahl sprach Jens Anker mit der Fraktionschefin der Partei, Ramona Pop.
Berliner Morgenpost: Frau Pop, in der vergangenen Woche hat das Parlament dem Börsengang der GSW zugestimmt. Die Grünen waren immer dagegen. Warum?
Ramona Pop: Wir haben schon 2004 gegen den Verkauf der GSW gestimmt, weil wir den Verkauf für das falsche Konzept gehalten haben. Gerade die GSW hat vielfältige Wohnungsbestände im ganzen Stadtgebiet verteilt, deswegen waren wir dagegen und haben auch jetzt das Folgegeschäft, den Börsengang, abgelehnt. Die Argumentation, wir sollten doch froh sein, dass die GSW jetzt an die Börse geht und nicht mehr den Finanzinvestoren gehört, gehört nach Absurdistan.
Berliner Morgenpost: Gilt Ihre Ablehnung für den Verkauf von städtischen Wohnungen allein für die GSW oder sind Sie grundsätzlich dagegen?
Ramona Pop: Das Land braucht eigene Bestände, um aktive Wohnungspolitik machen zu können. Die Frage der nächsten Jahre lautet: Schaffen wir es, sozialpolitische Ziele mit öffentlichen Wohnungen zu erreichen? Rot-Rot steuert nicht mit den öffentlichen Wohnungen. Die Koalition betreibt dagegen die Strategie, die Mieten immer am Mietspiegel zu orientieren, so dass die Mieten das Niveau des freien Marktes haben oder sogar darüber liegen. Das kann nicht unser Ziel sein. Wir müssen uns fragen, wie wir es wieder schaffen, landeseigene Wohnungen im gesamten Stadtgebiet und auch in der Innenstadt zu haben. Ob das durch Zukäufe oder Neubauten geschieht, müssen wir klären.
Berliner Morgenpost: Bei der Frage des Zukaufs liegen sie damit auf einer Linie mit der Linkspartei…
Ramona Pop: Wir diskutieren das weder so ideologisch wie die Linkspartei, die sagt, man dürfe gar nichts verkaufen, noch so ideologisch wie die FDP, die sagt, wir sollten alles verkaufen. Bislang verweigert Rot-Rot die Diskussion darüber, wie wir es schaffen, landeseigene Wohnungen mit sozialverträglichen Mieten anzubieten.
Berliner Morgenpost: Ist das nicht wieder ein Schritt zurück in den alten sozialen Wohnungsbau?
Ramona Pop: Nein. Es geht um unsere landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften, die ja insbesondere von der großen Koalition in den 90er-Jahren ausgeblutet worden sind und von Rot-Rot weiter vernachlässigt wurden. Wir müssen sie wieder befähigen, ihre sozialen Zwecke zu erfüllen. Die alte Wohnungsbauförderung will keiner mehr.
Berliner Morgenpost: Befinden Sie sich deswegen in einem Dilemma, weil Sie sozial vertretbare Mieten und gleichzeitig die energetische Sanierung fordern?
Ramona Pop: Die energetische Sanierung wird kommen; sonst führen die steigenden Energiepreise zu sozialen Verwerfungen. Wir brauchen Maßnahmen, wie wir Einkommensschwachen mit einem Klimawohngeld helfen, oder, wie es in Dortmund schon der Fall ist, ALG-II-Empfängern, die in energetisch sanierten Wohnungen leben, einen Mietzuschlag gewähren. Man kann auch darüber nachdenken, eine energetische Komponente in den Mietspiegel aufzunehmen.
Berliner Morgenpost: Wie könnte das denn konkret aussehen?
Ramona Pop: In einigen Großstädten gibt es so etwas schon oder ist geplant. Für Wohnungen, die in einem schlechten energetischen Zustand sind, muss weniger Miete gezahlt werden. Bei Rot-Rot besteht derzeit keine Bereitschaft, darüber zu reden.
Berliner Morgenpost: Verlieren Sie bei diesen Überlegungen nicht den Mittelstand aus den Augen, der allein für die Folgekosten der Sanierung aufkommen muss?
Ramona Pop: Nein, wir haben doch auf Bundesebene die Kfw-Förderprogramme für die energetische Sanierung massiv ausgeweitet. Steigende Energiekosten sorgen für davongaloppierende Betriebskosten. Das wird eher noch schlimmer. Deshalb brauchen wir die energetische Sanierung.
Berliner Morgenpost: Reichen die von Ihnen genannten Forderungen nach Sozialwohnungen im ganzen Stadtgebiet und Hilfen bei der Finanzierung der energetischen Sanierung aus, um die verstärkt zu beobachtende Verdrängung alteingesessener Mieter aus ihren Wohnvierteln der Innenstadt aufzuhalten?
Ramona Pop: Wir brauchen beispielsweise eine andere Liegenschaftspolitik in der Stadt. Rot-Rot hat Grundstücke bislang nach ihrem Wert verkauft und nicht nach sozialen, ökologischen oder Stadtentwicklungsaspekten. Da brauchen wir ein Umdenken. Wir müssen Grundstücke für innovative Wohnungspolitik bereitstellen und nicht an denjenigen verkaufen, der am meisten bietet. Auch da ist Rot-Rot im Hintertreffen. Andere Städte, wie Hamburg oder München, machen das bereits. Die Liegenschaftspolitik muss sich natürlich auch in den Dienst der Stadtentwicklung stellen. Außerdem kann ich mir vorstellen, dass man bei Neubauten durch Baugruppen oder andere mehr auf sozialpolitische Vereinbarungen setzt.
Berliner Morgenpost: Müssen es denn immer sozialpolitische Vorgaben sein. Ist ein Wandel, gerade in einer Stadt wie Berlin, nicht normal?
Ramona Pop: Klar ist der normal. Aber er muss politisch gestaltet werden – und das tut Rot-Rot nicht. Das ist das Problem. Berlin hat eine lebendige Innenstadt, diese soziale Mischung wollen wir bewahren. Auch die Familien mit Kindern müssen sich eine Wohnung innerhalb des S-Bahn-Ringes noch leisten können.
Berliner Morgenpost: Wir befinden uns vor dem 1. Mai, an dem es womöglich wieder zu Krawallen kommt. Autonome rechtfertigen Gewalttaten damit, dass sie sich gegen den Verdrängungsdruck in der Innenstadt wehren.
Ramona Pop: Das hat aber mit dem 1. Mai so gut wie gar nichts zu tun. In Kreuzberg ist es uns gelungen in den zurückliegenden Jahren, mit dem Myfest eine friedliche Stimmung zu erzeugen. Ich hoffe auch 2010 auf einen friedlichen Feiertag. Alle sollen demonstrieren können, sei es bei der DGB-Demo oder bei den geplanten Veranstaltungen gegen den rechten Aufmarsch – aber bitte friedlich. Wir haben als Fraktionsvorsitzende im Abgeordnetenhaus einen Appell verfasst, Gewalt zu ächten. Nur die FDP, die sich im Moment aus allen politischen Diskussionen ausklinkt, hat nicht mitgemacht.
Berliner Morgenpost: Mit wem wollen Sie nach der Abgeordnetenhauswahl regieren?
Ramona Pop: Das ist anderthalb Jahre vor der Wahl keine Frage. Die Themen werden entscheidend sein: Wer setzt sich für Klimaschutz ein, wie geht es mit der S-Bahn weiter, wie mit Charité und Vivantes, wie gestalten wir das soziale Miteinander? Dann werden wir sehen, mit wem diese Themen umzusetzen sind. Farbenspiele bringen heute nichts. Ich bin nicht mal sicher, ob wir 2011 noch ein Fünfparteien-Parlament haben werden. Es ist derzeit viel in Bewegung, wenn ich mir die Umfragen anschaue.
Berliner Morgenpost: In den Absichtserklärungen sind sich alle einig…
Ramona Pop: …aber in der Umsetzung hapert es! Wenn man gesehen hat, dass Rot-Rot schon bei der Frage der GSW wochenlang handlungsunfähig war, und Umweltsenatorin Lompscher bereits den dritten nicht zustimmungsfähigen Entwurf eines Klimaschutzgesetzes vorlegt, frage ich mich, ob überhaupt noch etwas bis zur Wahl entschieden wird. Es droht ein verlorenes Jahr für die Stadt, weil Rot-Rot keine Kraft mehr hat.
Berliner Morgenpost: Eine Mehrheit jenseits von Rot-rot ist derzeit nur mit Schwarz-Grün vorstellbar?
Ramona Pop: Es reicht nicht, wenn Herr Henkel mit einer riesigen Grünpflanze vor der Tür steht. Das Verhältnis zur CDU ist in dieser Legislatur aber besser als davor. Die CDU beschäftigt sich jetzt mit Themen, die sie lange vernachlässigt hat. Der Anfang einer Diskussion beispielsweise über Integrationspolitik bedeutet aber noch keine Erneuerung der CDU. Ich freue mich, wenn die CDU sich modernisiert. Koalitionen werden aber immer vom Wähler gewählt. Wir werden sicherlich über eine Präferenz Anfang nächstes Jahr entscheiden. Eine Ausschließeritis wird es nicht geben.
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