Die Grünen Katharina Fegebank und Ramona Pop regieren in Hamburg und Berlin. Statt sich wegzuducken, wollen die Realos gestalten – denn: „Wir sind nicht die Moralinsauren mit erhobenem Zeigefinger.“
Das Interview führte Jana Werner und erschien am 31.8.2018.
Zwei Pragmatikerinnen, zwei Politikerinnen, zwei Großstadt-Grüne: Hamburgs Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (41) und ihre Berliner Amtskollegin Ramona Pop (40) repräsentieren die neue Generation ihrer Partei. Ihr Anspruch: Politik zum Wohle möglichst vieler Menschen. Ein Gespräch über die neue Mitte, Integration und warum sie Jutta Ditfurth nur von „Wetten, dass..?“ kennen.
WELT: Frau Fegebank, Frau Pop, Hamburgs Altbürgermeister Ole von Beust erklärte jüngst im Zusammenhang mit CDU-Wunschkandidatin Aygül Özkan, dass die Hansestadt bereit für eine muslimische Bürgermeisterin sei. Hat er recht?
Katharina Fegebank: Im Jahr 2018 sollte es keine Rolle mehr spielen, woher man kommt und woran man glaubt. Das sollte in Städten wie Berlin und Hamburg selbstverständlich sein. Gerade Hamburg hat eine weltoffene und liberale Tradition, ist schon lange eine Einwanderungsstadt.
Ramona Pop: Großstädte wie Berlin und Hamburg sind mit ihrer unterschiedlichen Geschichte schon immer Schmelztiegel und Einwanderungsgesellschaften gewesen. 53 Prozent der aktuellen Berliner Bevölkerung sind nicht in der Hauptstadt geboren, das zeigt die Vielfalt Berlins.
Fegebank: In Hamburg hat übrigens jedes zweite Grundschulkind einen Migrationshintergrund.
Pop: In Metropolen und Großstädten ist es normal, Menschen unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlichen Glaubens aufzunehmen und das Zusammenleben miteinander zu gestalten. Wir leben Vielfalt. Das schlägt sich irgendwann in politischen und anderen öffentlichen Ämtern nieder, in Unternehmen, in Institutionen oder im Showgeschäft.
WELT: Inwiefern durchkreuzt die Idee der Elb-CDU, eine türkischstämmige Kandidatin aufzustellen, Ihre Ausrichtung, sich mittig anzusiedeln?
Fegebank: Eine neue Kandidatin macht noch keine neue CDU. Ich nehme Christdemokraten in Hamburg programmatisch als eine Partei wahr, die sich sehr weit von ihrem früheren Kurs der liberalen Großstadtpartei entfernt hat. Davon profitieren möglicherweise auch die Grünen, nicht nur in Hamburg, sondern auch in anderen Städten wie Berlin. Mehr und mehr Menschen können sich vorstellen, die Grünen zu wählen. Wir haben eine Verschiebung der politischen Koordinaten, viele verorten sich nicht mehr links oder rechts. Stattdessen fragen wir uns, ob wir auf eine Nationalisierung oder Europäisierung der Politik zulaufen, ob wir unsere liberale Gesellschaftsform erhalten wollen oder in eine autoritäre Richtung abdriften. Die jüngsten Ausschreitungen in Chemnitz zeigen, dass einiges aus den Fugen geraten ist. Das treibt viele um. Und da sehe ich die Grünen als Stimme mit einem klaren Wertekompass. Wir bieten eine Orientierung für jene, die eine weltoffene, menschenfreundliche und freie Gesellschaft wollen.
Pop: Als Wirtschaftssenatorin bin ich nah an den Unternehmen. Diese brauchen dringend Fachkräfte und finden Einwanderung notwendig. Viele Unternehmer sind entsetzt, dass gerade neu gewonnene Auszubildende abgeschoben werden sollen, weil ihr Duldungsstatus abläuft, obwohl sie sich gut integrieren. Auch da merken wir, dass viele Unternehmen nach einer politischen Vertretung suchen. Es geht um eine Antwort auf den Fachkräftemangel und die Zukunftssicherung ihres Unternehmens. Die CSU entfacht eine Dynamik, die in die genau entgegengesetzte Richtung geht: abschieben, um des Abschiebens Willen und ohne die Integrationsperspektiven in Betracht zu ziehen. Warum sollen jene, die sich integrieren, Arbeit finden und Steuern zahlen, nicht in Deutschland bleiben? Da erkenne ich bei Unternehmern eine Entfremdung von der Union. Und auch die Berliner CDU hat es nicht geschafft, sich aus einem 80er-Jahre-konservativen und kleinbürgerlichen Denken zu befreien und Großstädtisches anzubieten. Sie hat kein Angebot für Menschen, die in einem europäischen Rahmen eine Internationalität wollen und eine liberalgesellschaftliche Wertehaltung haben.
WELT: Laut Parteichef Robert Habeck können die Bürger den Grünen nun auch die innere Sicherheit anvertrauen. Die aktuelle Parteispitze fühlt sich also pudelwohl in der neuen Mitte.
Fegebank: Ich habe immer gesagt, dass wir uns aus der Nische heraustrauen müssen, statt es uns dort bequem zu machen. Wir haben unser Fundament und Themen, die die Grünen geprägt haben und uns bis heute begleiten. Nicht zuletzt hat der Sommer die Themen Umwelt und Klimawandel wieder nach oben auf die Agenda gesetzt. Aber natürlich haben wir den Anspruch, gute Politik für alle politischen Themen anzubieten und darüber neue Wähler zu erreichen. Das ist ein Kraftakt, denn es ist ein Spagat zwischen klarer inhaltlicher Besetzung – und dem Vorwurf der Beliebigkeit. Wir haben eine Chance, wenn wir gute Lösungen zu bezahlbarem Wohnen, Mobilität der Zukunft und einer wissensbasierten Wirtschaft geben und damit gesellschaftlich anschlussfähig sind. Das gelingt uns zunehmend, ausgehend von den Städten. Wir sind heute in der Lage, Konflikte auszuhalten, aber auch Entscheidungen zu treffen, die zum Wohle möglichst vieler erfolgen.
WELT: Frau Pop, wie wohl fühlen Sie sich in der neuen Mitte?
Pop: Wir machen in Berlin Politik für die ganze Stadt. Das ist nicht nur ein Versprechen, sondern ein ernst zu nehmendes Angebot. Natürlich wissen wir, woher wir kommen. Aber Berlin wächst, die Stadt steht vor Herausforderungen, ziehen doch jährlich mehr als 40.000 Menschen zu uns. Deshalb müssen wir uns als Regierungspartei auch um Mieten und bezahlbares Wohnen, Verkehr, Schule- und Familienthemen kümmern. Dennoch hat der Klimawandel und Energiepolitik in diesem Sommer einen neuen Drive bekommen. Vielen Menschen ist bewusst geworden, dass das kein Luxusthema ist, sondern etwas, was uns konkret betrifft. Der Klimawandel findet nicht in der Zukunft statt. Sondern wir sind mittendrin. So ergibt sich eine Palette an Themen, vor denen wir uns nicht wegducken, stattdessen mitgestalten. Und Fragen der Sicherheit etwa sind auch Fragen der Gerechtigkeit. Denn der öffentliche Raum, den wir alle gemeinsam nutzen, soll ein geschützter Raum sein.
WELT: Aber weil die Grünen heute breit aufgestellt sein wollen, haben Urgrüne wie Jutta Ditfurth und Thomas Ebermann nur noch Spott für sie übrig.
Pop: Ich bin seit 20 Jahren Parteimitglied, und beide habe ich in meiner aktiven Zeit nicht mehr erlebt.
Fegebank: Ich auch nicht. Jutta Ditfurth habe ich das erste Mal bei „Wetten, dass..?“ gesehen. Da war ich noch ganz klein und habe meine Eltern gefragt, wer denn diese Frau sei.
WELT: Es gibt gewiss Grüne, denen Ihr Wandel missfällt: Wie groß ist diese Gruppe in Ihrer Partei?
Fegebank: Im Landesverband Hamburg gibt es durchaus viele, die sich gerade aus dem Motiv der sozialen Gerechtigkeit heraus ganz klar links der Mitte verorten. Das gehört auch unbedingt zu uns. Gerade in einer Stadt mit so drastischen sozialen Unterschieden wie Hamburg. Zugleich erleben wir gerade eine Beitrittswelle. Damit kommen auch viele Menschen zu uns, die oft nicht in traditionellen Konfliktlinien denken und ganz eigene Motive haben. Da erlebe ich ein hohes Maß an Pragmatismus und Gestaltungswillen. Viele interessieren sich gerade dafür, dass wir als Regierungspartei praktisch etwas verändern können. Die Kluft zwischen denen, die die reine Lehre vertreten und jenen, die für ihre Regierungsverantwortung kritisiert werden, mag es vereinzelt noch geben. Sie ist manchmal ein nützliches Korrektiv für die politische Führung. Aber wir sind als Partei insgesamt stärker zusammengewachsen, gerade in Zeiten wie diesen, in denen ein Auseinanderdriften der Gesellschaft droht. Wir Grünen haben uns – wie die Gesellschaft – weiterentwickelt. Wir müssen uns den neuen Herausforderungen stellen, weil sonst irgendwann wir zu den ewig Gestrigen zählen.
Pop: Natürlich gibt es auch bei uns ein breites Meinungsspektrum. Wir liegen in Berlin in Umfragen bei 17 bis 18 Prozent. Es ist völlig normal, dass wir uns bei solchen Ergebnissen breiter aufstellen. Wir haben Linke, Linksliberale wie mich oder jene, die sich als Mitte-links bezeichnen. Bei einer Partei, die wächst, wird automatisch die Spannbreite größer. Ich finde das nicht schlimm, denn wir wollen doch mit unseren Themen und Zielen breite Bevölkerungsgruppen ansprechen. Wir wollen mit unserer progressiven, liberalen und ökologischen Politik Antworten auf aktuell drängende Fragen der Bürgerinnen und Bürger bieten.
WELT: Dennoch tauchen in Murmeltiermanier Forderungen aus Ihren Reihen auf, Stichwort Klimaflüchtlinge aufnehmen, die nach wie vor Kopfschütteln auslösen: Katapultieren Visionen wie diese Sie nicht flugs wieder aus der Mitte heraus?
Pop: Sind das schon Visionen? Es sind vielmehr zugespitzte Forderungen, die auf bestimmte Dinge aufmerksam machen. Seit diesem Sommer ist die Klimapolitik nicht mehr von der politischen Agenda wegzudenken, nur die Bundesregierung hat es noch nicht mitbekommen. Was wir an Hitze und Dürre hier erleben, ist nur ein Bruchteil dessen, was woanders auf der Welt schon als Klimakatastrophe stattfindet. Dass unsere Art zu leben und wie wir Kohlendioxid ausstoßen, anderen Menschen die Lebensgrundlage raubt und zur Flucht zwingt, ist ein wichtiger Zusammenhang. Das heißt dennoch nicht, dass Katharina oder ich Vertreterinnen der offenen Grenzen für alle sind.
Fegebank: Überspitzung ist gut, um auf Probleme hinzuweisen. Diesen Zweiklang aus freiheitlichem Gestalten für möglichst viele und mancher radikaler Forderung finde ich gut. Wir haben noch nicht auf jede aktuelle Herausforderung die fertige Antwort. Da kommen durch provokante Gedanken auch mal neue Ideen ins Spiel. Dass diese gleich als neue Spaßverderbervorschrift der Grünen interpretiert werden, empfinde ich manchmal als unfair. Wir sind nicht die Moralinsauren mit erhobenem Zeigefinger. Das verkörpern wir beide nicht, und die große Mehrheit unserer Partei auch nicht. Die Frage zeigt aber, dass es eine Fallhöhe gibt. Wir sind uns bewusst, dass Demokratie und Regieren nie fertig sind, sondern viel Arbeit. Und wir müssen jeden Tag wieder beweisen, dass wir da richtig sind.