Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Damen und Herren,
seit Wochen wundern sich nicht nur die Berliner und die Menschen mit Migrationshintergrund, die in Berlin leben – bundesweit wundern sich die Menschen über Klaus Wowereit. Zuerst haben Sie, Herr Wowereit, Thilo Sarrazin in den Vorstand der Bundesbank weggelobt. Bei seinem Lettre-Interview haben sie sich weggeduckt und jetzt haben Sie sich erst von Sarrazin distanziert, NACHDEM die Bundeskanzlerin und der Bundesbankvorstand deutliche Absetzbewegungen gemacht haben. Herr Wowereit, Sie sollten sich – insbesondere bei den Migranten – dafür entschuldigen, dass Sie uns diesen Bundesbankvorstand eingehandelt haben!
Vom Bürgermeister der Hauptstadt, vom Bürgermeister dieser Stadt, die wie kaum eine andere Stadt in Deutschland von Einwanderung geprägt ist. Von diesem Bürgermeister hätte man mehr Mut erwartet! Mut – sich zu distanzieren von den vulgärdarwinistischen Behauptungen Thilo Sarrazins, dass die Integrationsprobleme insbesondere der muslimischen Einwanderer genetisch bedingt seien.
So sieht der intellektuelle Tiefgang eines SPD-Politikers aus, der sieben Jahre Finanzsenator in Berlin war. Von dem uns allen kein integrationspolitisch vernünftiger Vorschlag bekannt wäre und der jetzt für seinen vermeintlichen „Heldenmut“ gefeiert wird, endlich einmal scheinbar „unbequeme Wahrheiten“ auszusprechen. Thilo Sarrazin hat ja vielleicht unbequeme Wahrheiten ausgesprochen, aber er hat vor allem Integrationsprobleme – und darüber reden wir! – biologistisch begründet und damit zementieren wollen! Davon muss man sich ganz deutlich distanzieren!
Von Ihnen Herr Wowereit wird jetzt erwartet, das Schlüsselthema Integration endlich anzupacken. Seit neun Jahren regieren Sie Berlin. Doch zu Integrationspolitik ist Ihnen bislang nur eingefallen, dass Sie Ihre Kinder nicht auf Kreuzberger Schulen schicken würden. Was für ein Armutszeugnis! Integration wurde zwar auch, wie so vieles, zur Chefsache ausgerufen, doch außer Stückwerk ist wenig herumgekommen.
Aktuell streitet die zuständige Senatorin Bluhm mit der SPD über ein sogenanntes Integrationsgesetz, das absurderweise die entscheidenden Fragen in der Integrationspolitik – Bildung und Arbeitsmarkt – außen vor lässt. Wir müssen alle miteinander auf eine andere Ebene kommen. Die alten Debatten, die zwischen verhärteten Fronten erbittert geführt wurden, helfen uns nicht weiter.
Die einen retten sich noch heute darin, dass man die Migranten wieder wegschicken könne, wenn sie sich falsch verhalten. Manch andere verniedlichen die Probleme der Einwanderung. Beides ist falsch, weil wir in der Integrationsdebatte so nicht weiterkommen. Wir alle stehen in der Verantwortung Probleme zu benennen. Wir dürfen dies nicht den „das wird man wohl noch sagen dürfen“-Typen à la Sarrazin überlassen. Und es gibt Zehntausende Erfolgsgeschichten von Menschen mit dem berühmten Migrationshintergrund – Und hier im Raum befinden sich etliche von ihnen und zwar in fast allen Fraktionen! Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass wir uns oft genug gegen vielfältige Widerstände, offene und verdeckte Diskriminierungen und Anfeindungen durchbeißen mussten
Und wir erscheinen immer noch eher als Ausnahme denn als Regel – das muss sich ändern!
Aber es ist natürlich beunruhigend, wenn soziale Randlage, Bildungsarmut und ethnische Herkunft immer häufiger geballt zusammenkommen. Hier liegt jede Menge sozialer und politischer Sprengstoff! Wir brauchen einen neuen Konsens in der Politik und Bevölkerung, dafür müssen wir uns alle gemeinsam stark machen.
Allen muss klar sein, dass Integration nur funktionieren kann, wenn sie mit der Chance zum sozialen Aufstieg aus eigener Kraft verbunden ist. Das bedeutet auch, dass Integration eine Anstrengung ist.
Gerade wir Grünen sagen das besonders deutlich. Wir kämpfen zu Recht seit Jahrzehnten für die Rechte von Migranten. Wir haben aber auch erkannt, dass mit Multi-Kulti keineswegs gemeint sei, jeder könne machen, was er wolle und Integration nicht nötig sei. Heute sagen wir: Integration verlangt nicht nur der Aufnahmegesellschaft viel ab. Integration verlangt von den Migranten deutliche Anstrengung: Für den Spracherwerb. Sie müssen den Wert von Bildung und beruflicher Qualifikation anerkennen. Dies gilt ebenfalls für die Akzeptanz demokratischer Werte.
Wir müssen uns mit langem Atem an die Lösungen machen. Zu lange ist über Grundsätzliches gestritten worden und konkrete Integrationspolitik versäumt worden. Das kann nicht innerhalb weniger Jahre aufgeholt werden. Es gibt keine Patentrezepte und wir werden wahrscheinlich beides machen müssen: Bessere Angebote UND die Stärkung der öffentlichen Autorität. Die größte und wichtigste Baustelle ist die Bildungsfrage, denn sozialer Aufstieg gelingt nur mit Bildung.
Integration und Teilhabe geht nur über das Erlernen der deutschen Sprache, die Sprache ist DER Schlüssel zu Gesellschaft und Arbeitsmarkt. Der Ausbau und die Qualifizierung der Sprachförderung in Kitas und Schulen ist deshalb eine der vordringlichen bildungspolitischen Aufgaben der kommenden Jahre.
Die jetzt wieder einmal vorgetragene Forderung nach einer Kitapflicht soll doch nur vom Versagen von Rot-Rot ablenken. Personalverbesserungen an den Kitas mussten erst durch Volksbegehren erstritten werden. Unser grüner Vorschlag für einen Kita-Gutschein, der automatisch allen Eltern geschickt wird ohne bürokratische Hürden und den Kita-Besuch für alle öffnen würde – ist abgelehnt worden.
Wir brauchen Schulen, die stärker als heute nicht nur Wissen vermitteln, sondern Erziehungsaufgaben übernehmen. Als Ganztagsschule die Kinder und Jugendlichen nachmittags von der Straße holen. Die sich zum Stadtteil öffnen und zu Familienzentren werden, um die Eltern zu erreichen. Gerade in benachteiligten Stadtteilen brauchen wir Magnetschulen, damit die Eltern nicht mit den Füßen abstimmen, müssen wir gerade diese Schulen besonders attraktiv machen. Das gilt nicht nur für Rütli!
Kann das dieser Senat leisten? In der Stadt reden alle über einen vergeigten Schulstart. Kein Wunder, wenn die größte Schulreform seit langem erst im Frühjahr durchs Parlament gebracht wurde, weil sich die Koalitionsfraktionen ewig nicht einigen konnten. Genügend Zeit für gründliche Vorbereitungen blieb nicht, die Folgen können wir täglich in der Zeitung lesen. So schafft man keine Akzeptanz für eine große Schulreform, Herr Zöllner!
Die anderen Probleme beschäftigen uns auch schon lange: Sprachfördermittel kommen nicht bei den Kindern und Schülern an, die dieser Förderung bedürfen.
Lehrerstunden für die Sprachförderung werden oft vor Ort aus Not zweckentfremdet und als Vertretungsreserve verwendet.
Seit Jahren werden die Mittel für die Sprachfördermaßnahmen nicht auf ihre Wirksamkeit überprüft. Es kann nicht sein, dass die Schulreform bei Strukturfragen stehen bleibt – wir müssen jetzt die Bildungsqualität voranbringen, wir brauchen eine Qualitätsoffensive für die Schulen!
Eines haben die Debatten der letzten Wochen um die Integrationsfrage gezeigt: Wir brauchen einen anderen, einen angemessenen Ton im Umgang miteinander.
Der herablassende Spott von Thilo Sarrazin über die türkischen Obst- und Gemüsehändler ist völlig daneben. Wie lange würde es wohl Thilo Sarrazin durchhalten, jeden Morgen um 2 Uhr in den Großmarkt an der Beusselstraße zu gehen. Und danach den ganzen Tag lang bis in den Abend hinein Obst und Gemüse zu verkaufen? Vermutlich nicht lange.
Eine der wichtigsten Voraussetzungen für Integration ist doch, dass Menschen sich wertgeschätzt fühlen. Wir müssen endlich – nicht nur bei Fussball Weltmeisterschaften – gemeinsam sagen können: Wir sind Schland. Wir sind Berlin – und dafür strengen wir uns an! Auch ich wünsche ich allen Muslimen nicht nur in Berlin ein schönes Zuckerfest!
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