Das Gespräch moderierten Britta Geithe und Erik Heier / tip Redaktion
Sie kämpfen vor allem in den Innenstadtbezirken um dieselbe gutbürgerliche Wählerklientel. Sie wollen bei der Abgeordnetenhauswahl im nächsten Jahr Rot-Rot ablösen. Sie bewegen sich immer mehr aufeinander zu: Bündnis 90/Die Grünen und die CDU. Denn die alten Fronten sind nicht mehr das, was sie mal waren. Ein Streitgespräch der Grünen-Fraktionschefin Ramona Pop und des stellvertretenden Berliner CDU-Vorsitzenden Thomas Heilmann über Wowereits Fehler, Versäumnisse bei der Integration, wirtschaftliche Zukunftskonzepte, politisches Speed-Dating und CDU-Blumensträuße vor der Tür der Grünen
tip Frau Pop, Sie standen Anfang März auf der Beliebtheitsskala erstmals vor dem Regierenden Bürgermeister. Grüßt Klaus Wowereit Sie seitdem freundlicher?
Ramona Pop Ach, freundlich ist der eigentlich immer. Er ist ja Profi.
tip Bei der letzten Haushaltsdebatte hat er Ihre Stimme allerdings mit einer Kalaschnikow verglichen …
Pop Das ist nicht das schlechteste Kompliment, finde ich.
tip Herr Heilmann, Sie sind zwar noch nicht auf der Umfrageliste drauf. Aber Sie sollten als gelernter Werber auch wissen, wie man sich beliebter macht.
Thomas Heilmann Bei der Frage hilft schon der gesunde Menschenverstand: Wenn der Inhalt nicht stimmt, bringt die Verpackung nichts. Wowereits Problem sind die Inhalte.
tip Worin sehen Sie beide die Gründe für die Misere des Regierenden Bürgermeisters?
Heilmann Er hat ein paar krasse Fehler gemacht. Er hat jahrelang erklärt, dass die Stadt Industriearbeitsplätze eigentlich gar nicht bräuchte. Wie sollen eigentlich die Fabriken in Berlin in ihren Konzernen bestehen und Investitionen erhalten, wenn sie der eigene Bürgermeister abschreibt? Ein anderes Problem ist seine grundsätzliche Haltung. Er steht für das lässige, für das coole Wird-schon-schiefgehen-Berlin. Das ist eine oberflächliche Schönwetter-Strategie. Und die Bürger haben schon verstanden, dass man jetzt jemanden braucht, der anpackt.
Pop Klaus Wowereit ist in den letzten Jahren das Gefühl für die Stadt abhanden gekommen. 2001 ist er noch angetreten mit dem starken Anspruch des Mentalitätswechsels, den er in die Stadt hineintragen wollte. In der zweiten Legislaturperiode ist davon gar nichts mehr übrig geblieben. Wowereit hat sich von den großen Themen, Arbeitsplätze, Wirtschaft, aber auch der Schulreform, fein ferngehalten. Er hat nie durchblicken lassen, was ihm wichtig ist.
tip Sie meinen, er müsste mehr tun, als nur einen Pullover überziehen und morgens um fünf Uhr bei der BSR zu frühstücken?
Heilmann Das ist alles Show, das löst kein Problem. Es geht nicht um Fototermine, sondern darum, ernsthaft an den Problemen zu arbeiten. Das hat der Senat in der ersten Legislaturperiode jedenfalls teilweise gemacht. Aber jetzt? Nicht mal den Bahnanschluss zum BBI-Flughafen kriegen die gebacken.
tip Für das Jahr 2010 hat sich Klaus Wowereit die Integration als Schwerpunkt ausgesucht. Frau Pop, das ist doch Ihre grüne Kernkompetenz?
Pop Ja, und schon lange. Wir haben einen 15-Punkte-Plan vorgeschlagen, um von der öffentlichen Verwaltung bis zu Ausbildungsplätzen und Schule die Integration voranzubringen. Herr Wowereit hat das Thema Integration nun zu seiner 15. oder 16. Chefsache erklärt. Ob da was vorankommt, wage ich zu bezweifeln.
tip Die Berliner CDU hat gerade ein eigenes Integrationspapier vorgelegt. Wie passt das zu den grünen Konzepten?
Heilmann Wir beide sind uns einig, dass Integration eine der zentralen Herausforderungen dieser Stadt ist. Was wir in der CDU wahrscheinlich einen Tick anders sehen, ist das Folgende: Teile der Bevölkerung stehen sich zunehmend kritisch gegenüber. Zuwanderer fühlen sich von den Einheimischen diskriminiert, und die Einheimischen sehen die Zuwanderer als nicht hinreichend integrationswillig an. Dieser Konflikt – der natürlich auch, aber nicht nur darin begründet liegt, dass die Politik jahrelang untätig war – verschärft sich. Der muss dringend mit Verstand und Verständnis angegangen werden. Und das funktioniert eben gerade nicht mit der Formel Multikulti, weil die signalisiert: Jeder macht seins. Damit werden wir die Spaltung in Ghettos und das Missverstehen zwischen den Bevölkerungsgruppen eher verstärken. Wir müssen uns die Intensivtäter genau angucken, aber auch die tatsächlichen Benachteiligungen, die Zuwanderer erfahren.
tip Was heißt „angucken“?
Heilmann Das heißt: Wir müssen denen, die Hilfe brauchen, helfen. Ich glaube, das schwierigste Thema ist nicht die Schule, obwohl wir uns einig sind, dass man da viel tun muss. Die schwierigen Fälle sind ja die, die schon aus der Schule raus sind, die schlecht Deutsch sprechen, keine Ausbildungsstelle haben, von Hartz IV leben oder bereits kriminell sind. Denen hilft es nicht, dass ich es in Kitas besser mache. Die CDU hat ja gerade in Berlin einen sehr klaren Blick dafür – bis hin zu der Frage, dass wir das Betreuungsgeld nicht wollen, weil es aus unserer Sicht die falschen Anreize bietet.
tip Frau Pop, Sie haben gerade einige Male ganz kritisch geguckt.
Pop Ich finde es gut, dass die CDU jetzt sagt: Wir müssen Brücken bauen, weil das tatsächlich ein großes Versäumnis ist. Wenn Sie, Herr Heilmann, aber sagen, da sei jahrzehntelang nichts angepackt worden …
Heilmann: Von allen. Auch von uns.
Pop … stimmt das nicht ganz. Lange Zeit hat die CDU gehofft: Die Migrantinnen und Migranten gehen alle wieder zurück. Und dann hat die CDU plötzlich festgestellt: Die bleiben hier, die arbeiten hier, die bekommen hier Kinder, die Kinder gehen in unsere Schulen. Aber was folgen daraus für Konzepte? Wie kann man Migranten, die eine schlechte Schulkarriere haben, fördern? Wie kann man sie in den Arbeitsmarkt integrieren? Was machen wir mit dem öffentlichen Dienst in der Stadt? Wie bilden wir dort Migration ab?
Heilmann Wir wollen mehr Migranten im öffentlichen Dienst. Das steht in unserem Integrationskonzept. Wir glauben aber auch, dass wir den staatlichen Autoritäten Respekt verschaffen müssen – bestimmte Dinge tolerieren wir nicht mehr.
Pop Was meinen Sie damit?
Heilmann Wir tolerieren weder Vandalismus, noch dass Migranten mit einem mir unverständlichen Ehrbegriff begründen, weshalb die Polizei sich in ihre Streitigkeiten nicht einmischen dürfe.
Pop Entschuldigung, das toleriert aber doch niemand in diesem Land!
Heilmann Wenn Sie wüssten … Begleiten Sie einmal Polizisten auf ihrer Tour. Beamte aus Spandau haben mir erst vorletzte Woche berichtet: Wir können gar nichts machen. Wenn wir die verhaften, kriegen wir schon von der Staatsanwaltschaft keine Unterstützung. Die hat wiederum eine Anweisung, diese Dinge deeskalierend zu betrachten. Und das finden wir falsch.
Pop Ich halte wenig davon zu sagen: Es wird alles ganz furchtbar in Berlin.
Heilmann Ich habe nicht gesagt, es wird alles ganz furchtbar. Aber wie würden Sie denn mit den Jungs umgehen, die sich erkennbar auflehnen gegen alles, was wir als Grundordnung ansehen?
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