Tagesspiegel-Gastbeitrag zum Tegel-Volksentscheid

Ramona Pop im Gespräch
Ramona Pop im Gespräch

Gastbeitrag von Ramona Pop im Tagesspiegel vom 04. juli 2017 zum Tegel-Volksentscheid

Am 24. September entscheiden wir Berlinerinnen und Berliner nicht nur über die Zusammensetzung des nächsten Bundestages, sondern auch über die künftige Nutzung des Flughafenareals in Tegel.

Die Diskussion um Tegel wird emotional geführt – der Ärger um den BER, das Gefühl, dass Politik nicht immer zuhört, oder die Angst vor der Veränderung unserer Stadt – all das spielt dabei eine Rolle. Am 24. September wird jedoch nicht über den BER abgestimmt, nicht über den Regierenden Bürgermeister und nicht über den Senat – sondern einzig und allein über die zukünftige Nutzung der 460 Hektar in Tegel.

Viele Abstimmungen und Wahlen sind in der letzten Zeit von Gefühlslagen und Irrationalitäten überlagert worden, inklusive der Katerstimmung am Morgen danach. Bei aller Emotionalität – Demokratie lebt von der Diskussion, von Fakten und Argumenten und dem Ringen um die beste Lösung, bei jeder Entscheidung!

Die Initiatoren des Volksentscheids gehen jedoch fahrlässig mit dem uns sehr wichtigen Instrument direkter Demokratie um, indem sie den Menschen vorgaukeln, Tegel offenzuhalten sei ein Leichtes. Warum wird dann aber nur eine unverbindliche Willensbekundung zur Abstimmung gestellt? Es wird kein Gesetzesentwurf zur Abstimmung gestellt, obwohl nur ein Gesetz den Senat rechtlich binden würde. In der Geschichte der Berliner Volksentscheide hat es dies bislang nur einmal gegeben: beim gescheiterten Volksentscheid zur Offenhaltung des Flughafens Tempelhof. Offensichtlich wissen die Initiatoren selbst, dass es keinen rechtssicheren Weg zur dauerhaften Offenhaltung Tegels nach der Inbetriebnahme des BER gibt.

Fakt ist: Würde Berlin TXL parallel zum BER offengehalten, entstünde das unkalkulierbare rechtliche Risiko, gar keinen funktionsfähigen und genehmigten Flughafen in Berlin mehr zu haben. „Der Planfeststellungsbeschluss steht unter dem Vorbehalt der endgültigen Schließung der Flughäfen Berlin-Tegel und Berlin-Tempelhof spätestens nach einer Übergangszeit von sechs Monaten nach Inbetriebnahme der ausgebauten Südbahn“ heißt es unmissverständlich in dem Beschluss zum BER, der gerichtlich bestätigt wurde.

Starten jedoch parallel zum BER weiter Flugzeuge in Tegel, kommen wir in Teufels Küche und eröffnen Klagen gegen beide Flughäfen Tür und Tor.

Der Flughafen Tegel ist aus der Not der Teilung der Stadt und ihrer Insellage heraus mit alliiertem Besatzungsrecht errichtet worden. Aus dieser Notlage hat uns die Wiedervereinigung befreit. Für Tegel gab es nie einen rechtmäßigen Planfeststellungsbeschluss, die Betriebsgenehmigung ist bereits 2004 widerrufen worden. Wie der Widerruf des Widerrufs einer Betriebsgenehmigung eines Flughafens ohne ordnungsgemäßen Planfeststellungsbeschluss bewerkstelligt werden soll, bleibt das Geheimnis der Tegel-Befürworter. Die Anwohner würden zu Recht neue Klagen gegen den dauerhaften Betrieb Tegels anstrengen – mit deutlicher Erfolgsaussicht.

Heute würde in der Bundesrepublik wegen der unbestrittenen Risiken und Belastungen kein innerstädtischer Flughafen wie Tegel mehr neu genehmigt werden. Für die Münchener war nach dem verheerenden Absturz von 1958 klar, dass der Franz-Josef-Strauß-Flughafen außerhalb der Stadt errichtet werden muss. Am Standort des alten innerstädtischen Flughafens boomt heute in München neues städtisches Leben.

Auch die immensen finanziellen Risiken eines doppelten Flughafenbetriebs verschweigen die Initiatoren des Volksentscheides lieber. Tegel müsste vom Gebäude, den Verkehrswegen bis zu den Start- und Landebahnen grundsaniert werden. Dies allein würde rund eine Milliarde Euro kosten, die doppelte Infrastruktur für Abfertigung, Sicherheit etc. würde zu weiteren Mehrkosten von mindestens 100 Millionen Euro pro Jahr führen. Hinzu kämen noch die Kosten für den Lärmschutz: Die Schätzungen liegen bei rund 400 Millionen Euro und mehr. Außer in Megacitys sind mehrere Flughäfen nicht wirtschaftlich zu betreiben, die Berliner Flughäfen müssten dauerhaft von der öffentlichen Hand subventioniert werden.

Hand aufs Herz: Wollen Sie, dass Berlin dieses Geld für Schulen, Nahverkehr und Wohnungen ausgeben kann oder in einen alten Innenstadtflughafen steckt, den wir nicht mehr brauchen?

Berlin ist attraktiv: Die Stadt wächst nicht nur jedes Jahr um etwa 40 000 Menschen. Auch die Zahl der Arbeitsplätze steigt in der gleichen Größenordnung. Die Menschen suchen Wohnungen und Platz zum Leben, etablierte und junge Unternehmen brauchen neue Flächen, um zu wachsen. Berlins Wirtschaft wächst seit fünf Jahren stärker als im Rest des Landes. Und das soll auch so bleiben. Berlin hat viel zu lange auf diesen Aufschwung gewartet, um ihn durch Flächenknappheit zu ersticken.

Neben dem Technologiepark und seinen 20 000 neuen Arbeitsplätzen soll rund um den Flughafen Tegel ein lebendiges, städtisches Quartier mit mindestens 5000 Wohnungen wachsen.

Wenn auf dem Flughafengelände in Tegel Neues entsteht, wird Berlin ein wichtiges und großes Stück Stadt zurückgewinnen – knapp 500 Hektar, citynah. Andere Metropolen beneiden uns um die Chance, eine Fläche dieser Größe neu gestalten zu können.

Der rot-rot-grüne Senat hält wie alle vorherigen Regierungen am Flughafen-Konsensbeschluss von Berlin, Brandenburg und Bund fest. Rechtssicherheit ist ein hohes Gut. Wir wollen das gegebene Versprechen an die von Fluglärm und Absturzgefahren gefährdeten Menschen einlösen. Und wir werden unsere Partner in Brandenburg und im Bund nicht im Regen stehen lassen. Wir stehen für Verlässlichkeit.

Seit Jahren hoffen hunderttausende Menschen auf eine Schließung des Flughafens Tegel. In keiner anderen europäischen Stadt sind so viele Menschen vom Fluglärm eines einzelnen Flughafens betroffen. 300 000 Menschen werden mit der Schließung Tegels von Fluglärm entlastet.

Das Volksbegehren zur Offenhaltung Tegels hat in den vergangenen Monaten Emotionen geweckt. Viele Berlinerinnen und Berliner hängen an ihrem alten Flughafen. Und mit der Flughafenfrage verbindet sich – wegen der immer wieder verschobenen Eröffnung des neuen Flughafens BER – auch viel Unmut. All das ist verständlich.

Am 24. September geht es nicht um Groll oder alte Liebe. Am 24. September geht es um die Zukunft.