Vertrauensfrage

Die Koalitionsverhandlungen von SPD und CDU lassen für Berlin wenig Gutes ahnen. Wowereit bekommt seine Autobahn und Bibliothek und zahlt dafür mit Vorbeugehaft und Rückschritten in der Integrationspolitik.

Dieser Senat wirkt wie aus der Zeit gefallen. Bedeutende Weichenstellungen kommen im rot-schwarzen Kuhhandel nicht vor. Von Investitionen in Bildung statt in Beton, in die Energiewende und in neue Mobilitätskonzepte hört man nichts. Selbst die Chefetagen der Energie- und Autokonzerne sind inzwischen grüner.

Mehr Berlinerinnen und Berliner denn je haben trotz eines sichtbar verunglückten Wahlkampfs starke Grüne in der Stadt und im Senat gewollt. Diese Chance ist nicht nur vergeben. Schlimmer noch. Mit dem öffentlichen Streit über die Fraktionsführung und der Drohung einer Spaltung steht die Glaubwürdigkeit und Politikfähigkeit der Grünen in Berlin in Frage.

Wie konnte es soweit kommen? Bis zum Wahltag sah es so aus, als stünden die Grünen einmütig und geschlossen hinter dem Ansinnen, den Status als Funktionspartei im Beiboot der SPD zu überwinden. Viele Menschen haben unserem Versprechen einer neuen politischen Kultur vertraut, die aus den hergebrachten grünen Nischen aufbricht und den Dialog mit allen in der Stadt sucht. Heute blicken unsere Wählerinnen und Wähler fassungslos auf den grünen Scherbenhaufen und fragen sich, welcher Politik sie vor knapp acht Wochen eigentlich ihre Stimme gegeben haben.

Dieser dramatische Vertrauensverlust wird uns noch Jahre verfolgen, wenn wir nicht gemeinsam für Klarheit sorgen. Denn was als Streit um Proporz und Posten daher kommt, ist in Wahrheit ein Streit um den künftigen Kurs der grünen Partei. Deshalb ist es unerlässlich, dass die Berlinerinnen und Berliner wieder wissen, was von den Grünen in Zukunft zu erwarten ist.

Dazu müssen wir die entscheidenden Fehler unseres Wahlkampfes selbstkritisch aufarbeiten, um die richtigen Entscheidungen für die Zukunft zu treffen. Im Rückblick war die Entscheidung für einen extrem personalisierten Wahlkampf falsch, dessen ganzes Wohl und Wehe an der Spitzenkandidatin hing. Spätestens nach dem Abrutschen in den Umfragen hätte es der Inhalte bedurft, um die schlichte Frage zu beantworten: Was wird anders, wenn Grün regiert? Spätestens dann hätte es der Berliner Köpfe bedurft, die nicht erst seit heute für grüne Politik stehen. Nicht zuletzt hätte man die immer drängender werdende Koalitionsfrage politisch beantworten und von der Personalisierung lösen müssen. Nichts davon ist uns gelungen. Dieser Wahlkampf war tatsächlich kein Beispiel für eine erfolgreiche Politik der Eigenständigkeit.

Der Schluss daraus kann aus meiner Sicht nicht im Rückzug bestehen. Zurück zu 12 Prozent, zur Alternativen Liste der 80er Jahre, die außerhalb ihres engeren Umkreises nur Feindesland sah und ein ungeklärtes Verhältnis zur Gewaltfrage, zu staatlichen Institutionen und zur Wirtschaft mit sich herumschleppte.

Wir haben im Wahlkampf eine Politik für die ganze Stadt versprochen und dem sind mehr Wählerinnen und Wähler denn je gefolgt. Stehen wir noch zu diesem Versprechen? Wollen wir Konzepte für alle Politikbereiche von Bildung, über Umwelt zu Finanzen profilieren, um dialogfähig mit allen in der Stadt von Migrantenverbänden bis zur Wirtschaft zu sein? Werden wir Rechtsstaat und Institutionen nicht nur akzeptieren, sondern auch schützen? Stehen wir zu dem Versprechen, eine Politik zu machen, die die Lebensrealitäten der Menschen und Probleme im Zusammenleben ernstnimmt?

Dass wir diese Fragen unzureichend im Vorfeld des Wahlkampfes geklärt haben, macht uns allen jetzt das Leben schwer. Die anstehende Diskussion wird nicht einfach und vermutlich auch schmerzhaft. Ob wir sie als notwendige und gemeinsame Weiterentwicklung verstehen, das wird über unsere Chancen bei den nächsten Wahlen im Bund und in Berlin entscheiden.

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