Interview mit Ramona Pop in der Berliner Morgenpost vom 20.12.2015
Frau Pop, Sie haben den Sozialsenator wegen der Flüchtlingskrise und den Zuständen am Lageso zum Rücktritt aufgefordert. Was bringt das den Flüchtlingen?
Jetzt ist der Zeitpunkt erreicht, an dem sich die Frage stellt, ob der politisch verantwortliche Senator Czaja in der Lage ist, die Situation zu organisieren und zu managen. Im Sommer, als die ersten schrecklichen Bilder vom Lageso auftauchten, haben wir nicht reflexhaft den Rücktritt von Mario Czaja gefordert. Aber inzwischen sind Monate vergangen, und die Bilder sind die gleichen geblieben. Das Lageso ist weltweit zu einem Synonym des Versagens der Berliner Politik geworden. Die politische Führung bekommt die Lage nicht in den Griff. Dann muss diese auch Verantwortung übernehmen und gehen.
Der Regierende Bürgermeister hat die Flüchtlingspolitik zur Chefsache gemacht und vor fünf Wochen ein Neun-Punkte-Programm vorgelegt. Seitdem ist wenig passiert.
Wir fordern schon lange, dass der Regierende Bürgermeister nach dem Vorbild anderer Bundesländer einen Flüchtlingsgipfel einberuft und das Thema Flüchtlinge zu einer gemeinsamen politischen Anstrengung des gesamten Senats macht. Der Regierungserklärung von Michael Müller sind bisher keine Taten gefolgt. Wir erleben weiterhin einen zerstrittenen Senat, in dem die Vorschläge des Regierenden Bürgermeisters vom Koalitionspartner sofort genüsslich zerpflückt werden.
Zum Beispiel?
Bei der Frage, ob das Tempelhof-Gesetz geändert werden soll, um dort temporäre Bauten für Flüchtlinge errichten zu können, hat die CDU erklärt, so schnell wie der Regierende wolle, könne man das Gesetz nicht verabschieden. Jetzt beraten diverse Ausschüsse darüber. Und das dauert wieder.
Aber das müsste doch in Ihrem Sinne sein. Sie haben doch beim Volksentscheid eine Bebauung des Tempelhofer Felds abgelehnt.
Richtig. Die Gesetzesänderung, die der Senat vorgelegt hat, erweckt den Anschein, dass das Ergebnis des Volksentscheids durch die Hintertür revidiert werden soll. Aber das Beispiel zeigt, dass in dieser Koalition offensichtlich nichts mehr funktioniert. Das gilt auch für den Plan, Gewerbeimmobilien leichter beschlagnahmen zu können, ein weiterer Punkt auf Michael Müllers Liste. Kaum hatte er das im Parlament gesagt, kam eine Presseerklärung des CDU-Generalsekretärs, in der es hieß: „Nicht mit uns.“ Die Koalition hat keine gemeinsame Agenda.
Ist die Koalition am Ende?
Die Verabschiedung des Haushalts war die letzte Amtshandlung dieser Koalition. Ich sehe keine gemeinsame Idee zur Gestaltung mehr. Wir haben nur noch eine kommissarische Regierung.
Zurück zu den Flüchtlingen. Sie wollen auf die Unterbringung in Turnhallen verzichten. Wie soll das gehen?
Es gibt eine Reihe von Immobilien, die vom Bund oder den Bezirken angeboten werden. Da passiert nichts. Schlimmer noch, offensichtlich hat der Sozialsenator mögliche Unterkünfte gar verhindert, weil diese in Wahlkreisen von CDU-Abgeordneten gelegen hätten. Das ist unerträglich. Anstatt Immobilien konsequent zu akquirieren, werden nur noch Notunterkünfte geschaffen, vor allem in Turnhallen. Wir haben auch deshalb Druck auf die Unterkünfte, weil Berlin geschätzt 15.000 Flüchtlinge noch nicht registriert hat. Ein großer Teil von ihnen müsste wahrscheinlich auf andere Bundesländer verteilt werden.
In der Kritik steht vor allem Sozialsenator Czaja. Aber für die Unterbringung ist doch auch Staatssekretär Dieter Glietsch von der SPD zuständig. Schonen Sie die SPD, weil Sie mit ihr regieren wollen?
Wir schonen weder den Senat, noch den Regierenden Bürgermeister. Erst am Freitag hat unsere Parteispitze ihn in einem offenen Brief aufgefordert, sich endlich um die Zustände am Lageso zu kümmern. Wenn die Bilder von dort weiter um die Welt gehen, kann es sein, dass das Lageso zu Michael Müllers BER wird.
Michael Müller hat den Rücktritt von Lageso-Chef Franz Allert erzwungen. War das richtig?
Es ist schon einzigartig, dass sich ein Regierender Bürgermeister so massiv in die Personalpolitik einer einzelnen Verwaltung einmischt. Aber wenn der politisch verantwortliche Senator Czaja nicht in der Lage ist, eine Personalie zu entscheiden, ist er als Senator offenbar nicht geeignet.
Wie viele Flüchtlinge kann Berlin noch aufnehmen?
Obergrenzen in Zahlen sind doch nicht das Thema, da halte ich es mit der Bundeskanzlerin. Wichtig ist nun, mit Hochdruck die Zeit für die Registrierung der Altfälle zu nutzen, wenn tatsächlich im Winter weniger Flüchtlinge kommen sollten.
Und wie lange können 2300 Flüchtlinge in den Tempelhofer Hangars bleiben?
Die Zustände in Tempelhof sind verheerend, die sanitären Anlagen erbärmlich. Es wäre verantwortungslos, dort noch mal so viele Geflüchtete unterzubringen. Die Menschen müssen dort schneller wieder ausziehen können. Das geht nur, wenn endlich mehr Gemeinschaftsunterkünfte geschaffen werden.
Zu einem anderen Thema: Sie wollen mit einem Viererteam in den Wahlkampf starten. Doch die Grünen treten mit einer Landesliste an. Wollen Sie als Fraktionsvorsitzende den ersten Platz, also die Spitzenposition haben?
Wir führen unsere Partei mit einem Viererteam aus Partei- und Fraktionsvorsitzenden in den Wahlkampf. Gemeinsam haben wir ein klares Ziel. Wir wollen im nächsten Jahr Regierungsverantwortung übernehmen.
Nochmals: Wollen Sie auf Platz 1?
Unsere Mitglieder werden im März eine gute und kompetente Abgeordnetenhausliste wählen. Ich will, um unser Ziel zu erreichen, meine ganze Kraft einsetzen und werde auf der Mitgliederversammlung auf Platz eins kandidieren. Die Entscheidung treffen unsere Mitglieder auf der Versammlung.
Mit welchen Schwerpunkten gehen Sie in den Wahlkampf?
Unsere Stadt muss wieder funktionieren. Aber davon sind wir weit entfernt. Schauen Sie sich nur die Bürger- oder die Jugendämter an. Aber auch bei den Schulsanierungen, bei der Verkehrsinfrastruktur gibt es Probleme. Und die werden immer größer.
Was wollen Sie ändern, wenn Sie an die Regierung kommen?
Die Infrastruktur, nicht nur bei Kitas und Schulen, muss wieder funktionieren, auch, weil die Stadt wächst. In Berlin wurde lange viel zu wenig investiert. Jetzt gibt es endlich mehr Investitionen. Aber das Geld wird nicht abgerufen, weil Personal in den Ämtern fehlt. Es werden auch nicht die richtigen Schwerpunkte bei den Investitionen gesetzt. Neben dem Wohnungsbau muss der Ausbau des Verkehrsnetzes stehen. Wenn man sich jedoch die vermurkste S-Bahn-Ausschreibung ansieht, wird der Betrieb jetzt teurer, ohne dass wir mehr Qualität bekommen. Dafür fahren die alten Züge bis 2021, und die müssen auch noch auf Kosten des Steuerzahlers dafür fit gemacht werden.
Für all das trägt die SPD in Berlin Verantwortung. Warum wollen Sie mit der SPD regieren?
Wir machen keinen Koalitionswahlkampf.
Bei der letzten Abgeordnetenhauswahl lagen die Grünen bei über 17 Prozent. Was ist Ihr Ziel für 2016?
Um Regierungsverantwortung zu übernehmen, braucht es eine solide Basis. Das Ergebnis bei der letzten Wahl war das beste, das wir in Berlin jemals hatten. Das wollen wir halten und noch verbessern.
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