1 Jahr Rot-Schwarz: Stillstand in Berlin

Ramona Pop im Plenum am 13.12.12: „Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Saleh! Der Herbst der Entscheidungen ist zwar vorbei, aber gefallen sind hier nur die Blätter, habe ich den Eindruck.

Wer hätte eigentlich vor einem Jahr gedacht, als die Koalition aus SPD und CDU voller Selbstzufriedenheit und Selbstüberzeugung hier gestartet ist, dass die Koalition nach nur einem Jahr die unbeliebteste Regierung der ganzen Republik sein würde? „Sie finden sich toll“, titelte jüngst eine Berliner Tageszeitung zur Bilanzpressekonfe-renz des Senats. Sie müssen sich ja auch toll finden, Herr Wowereit, damit wenigstens irgendjemand diesen Senat toll findet.
Seitdem Sie im Amt sind – von regieren kann man nicht wirklich sprechen –, stolpern Sie von Krise zu Krise und von Panne zu Panne. Die selbst ernannte Koalition von Stabilität und Vernunft macht bis heute vor allem durch Rücktritte, Weggänge und sonstige Streitereien von sich reden.

Zwei Senatoren haben Sie in kürzester Zeit verschlissen, und mehrere Staatssekretäre – es waren so viele, dass ich die Namen nicht einmal mehr aufzählen kann – wurden ausgetauscht. Nach welchen Kriterien Sie dabei vorgin-gen, kann kein Mensch verstehen, mit Blick darauf, wer gehen musste und wer zurzeit noch im Amt ist. Noch immer ist keine Ruhe und kein vernünftiges Regieren in diesem Senat zu sehen. Einige Senatoren raufen sich wie die kleinen Jungs auf dem Schulhof, und der Regierende Bürgermeister schaut schulterzuckend zu und sagt: Sollen sie doch!

Dass die Politik für die Stadt nicht mehr vorkommt, scheint Sie nicht zu stören, dabei hatten Sie sich doch so viel vorgenommen, Herr Wowereit. „Infrastruktur“ war neben „Stabilität“ die wichtigste Überschrift dieser Regierung. Sie hätten den Mund vielleicht nicht ganz so vollnehmen sollen, Herr Wowereit.
Wer hätte gedacht, dass die selbsternannte Koalition der Infrastruktur das zentrale Projekt Flughafen so dramatisch vergeigt? Ganz ehrlich: So schlimm hätten es vermutlich nicht einmal die Grünen versemmeln können.

– Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Schneider, besitze ich eine gewisse Prise Selbstironie. – Angesichts immer neuer Probleme am Flughafen fragt man sich schon, in wel-chem Zustand dieser Flughafen im Juni 2012 eigentlich gewesen ist und welche Bauruine Sie, Herr Wowereit, damals eröffnen wollten. Und wieder muss der Berliner Steuerzahler – wie in den 90er-Jahren – für das unternehmerische Versagen dieses Senats zahlen, und wieder reicht vermutlich das Geld nicht, das erst kürzlich be-schlossen worden ist. Die 1,2 Milliarden Euro sind jetzt plötzlich knapp, weil man vergaß einzurechnen, dass Baufirmen mit Nachtragsforderungen kommen könnten. – Wer hätte denn so etwas gedacht?

Ich frage schon bei den Koalitionsfraktionen von SPD und CDU nach: Fühlen Sie sich nicht irgendwie veräp-pelt, und zwar davon, dass Sie vor drei Wochen erst einen Blankoscheck für Wowereit und Schwarz unterschrieben haben? Zumindest der Bundestag hat gestern beschlossen, diesen Leuten nicht unkontrolliert das Geld hinterherzuwerfen, und das ist richtig so.
Herr Wowereit! Sie haben unserer Stadt schweren Schaden zugefügt. Ihretwegen denkt die gesamte Republik: Berlin kann es nicht! Ihretwegen denkt die gesamte Republik: Berlin verpulvert wieder das Geld, das es gar nicht hat!

Und jeder normale Mensch fragt sich: Wo ist da der Anstand? Wo ist da die Verantwortung? Für die Krisen und Versäumnisse der Regierung sitzt bei Ihnen immer das Geld locker – nur nicht für die Zwecke der Bürgerinnen und Bürger. Das merken die Menschen in dieser Stadt, das denken sie von Ihnen, und zwar zu Recht.

Sie haben mal eben 450 Millionen Euro für das Versagen am BER ausgegeben, und das Ende ist offen. Auch an der Staatsoper drohen die Kosten völlig aus dem Ruder zu laufen, und die nächsten Großbaustellen mit Kostenexp-losionen stehen schon vor der Haustür, während man die vorhandene Infrastruktur auf Verschleiß fährt und sich selbst überlässt, die Straßensanierung auf die Entscheidungen im nächsten Frühling oder Herbst der Entscheidungen wartet und verwaiste Baustellen die halbe Stadt lahmlegen, der öffentliche Nahverkehr und insbesondere die S-Bahn kurz vor dem Kollaps stehen, während heute aktuell am Bahnhof Friedrichstraße Teile der Decke heruntergekommen sind und Schulen dringend sanierungsbedürftig sind. Die Politik muss den Wohnungsneubau endlich vernünftig angehen. Sie sparen an der täglichen Infrastruktur, und das auf dem Rücken der Menschen in dieser Stadt. Diese Regierung hat die niedrigste Investitionsquote aller Zeiten. So geht das wahrlich nicht.

– Die Grünen fordern eine vernünftige Infrastruktur in dieser Stadt, Herr Schneider, das, was Sie als Koalition nicht bringen.

Negative Schlagzeilen für Berlin machte auch der Innen-senator: zwielichtige V-Personen, geschredderte Akten. Auch hier stand Berlin bundesweit im Fokus. Der Innensenator leistete sich einen unwürdigen Streit mit dem Generalbundesanwalt, indem sie sich gegenseitig derLüge bezichtigten, und er machte wochenlang den Eindruck, den Ereignissen hinterherzulaufen, anstatt sie aufzuklären.

Auch hier vollmundige Ankündigungen wie die zum unbedingten Aufklärungswillen, die wenig durch konkrete Taten untermauert wurden. Die sichtbar gewordenen Zustände insbesondere im Verfassungsschutz lassen einen schaudern. Man kann nur hoffen, dass wir als Parlament gemeinsam eine sinnvolle Reform auf den Weg bringen, wofür die Regierung offensichtlich keine Kraft mehr hat.

Vollmundige Versprechungen auch hier heute wieder in der Daseinsvorsorge: Mit dem Rückkauf der RWE-Anteile an den Berliner Wasserbetrieben sollte eine Preissenkung für die Berlinerinnen und Berliner erfolgen.
– Herr Schneider! Schreien Sie doch nicht die ganze Zeit! Sie sind gleich heiser und können gar nicht mehr sprechen.
Ich mache mir Sorgen um Sie. – Was ist denn von dieser Preissenkung übrig geblieben, die mit dem Rückkauf im Übrigen gar nichts zu tun hatte? Der Rückkauf war das eine Geschäft und die Preissenkung das versuchte andere Geschäft.
Was ist denn davon übrig geblieben, Herr Schneider? – Eine Gutschrift, die nur dann eingelöst werden soll, wenn ein Rechtsstreit irgendwann sein Ende finden wird! Auf eine spürbare Entlastung bei den Wasserpreisen werden die Berlinerinnen und Berliner also noch warten müssen. Auch für die Daseinsvorsorge vor Ort für Bibliotheken, Musikschulen, Bürgerämter haben SPD und CDU kein Geld und kein Interesse.

Daseinsvorsorge ist nicht ganz Ihr Thema, meine Herren! Auch hier haben Sie dreistellige Millionenbeträge ausgegeben für Altlasten und für das Ausbügeln der Fehler der Vergangenheit, Teilprivatisierung nämlich, ohne dass die Bürgerinnen und Bürger bislang spürbar etwas davon haben. Die Preissenkung beim Wasser lässt nämlich auf sich warten. Eine Gutschrift kann diese nicht ersetzen.
Für die Belange der Menschen hier in der Stadt haben Sie offensichtlich ziemlich wenig Herz und noch viel weniger Geld. Dabei haben wir einiges als Stadt zu bieten. Berlin ist im Aufschwung. Das hat unsere Stadt ganz allein, ohne den Senat, geschafft. Hier ist das Eigenlob des Senats nur das Schmücken mit fremden Federn. Ja, unsere Stadt wächst und zieht Menschen wie ein Magnet an. Unsere Stadt soll auch als wachsende Stadt eine lebenswerte Metropole bleiben.

Hier gibt es jede Menge zu tun. Insbesondere im zentralen Feld der städtischen Infrastruktur warten riesige Herausforderungen, die Sie offensichtlich noch gar nicht sehen. Die Stadt wächst, die Stadt möchte gestaltet werden, und wenn Berlin nicht in eine Wohnungsnot geraten will, muss der Wohnungsneubau dringend angepackt werden. Wir brauchen Wohnraum, wir brauchen bezahlbaren Wohnraum, wir brauchen neue Wohnungen, und zwar in nennenswerten Größenordnungen. Dazu lachen Sie nur, Herr Schneider! Dafür haben Sie offensichtlich gar keinen „sense“!

Für ein Programm zum sozialen Wohnungsbau, wie von uns den Haushaltsberatungen beantragt, ist angeblich gar kein Geld mehr da. So machen Sie offensichtlich Woh-nungspolitik hier in der Stadt: kein bezahlbarer Wohnbau, kein Wohnungsneubau, kein sozialer Wohnungsbau. Und auch die zum Wohnen dazugehörige Infrastruktur vergessen Sie mal eben nebenbei: die Kitas und Schulen, die dringend benötigt werden. Heute haben wir schon in einigen Bezirken Engpässe, und nicht nur in der Innenstadt, auch in den Außenstadtbezirken haben wir keine Kitaplätze, haben wir keine Schulplätze. Auch darum kümmert sich diese Regierung nicht, schmückt sich aber gerne mit der Feder „wachsende Stadt, boomende Stadt“. Dann tun Sie auch was dafür, dass sich die Menschen wohlfühlen in unserer wachsenden, in unserer boomenden Stadt!

Hier ist tatsächlich der Senat gefragt, für das wachsende Berlin einen Masterplan zur städtischen Infrastruktur von Wohnen und Leben vorzulegen. Diese Zukunftsaufgabe, das macht mir wirklich Sorge, darf nicht im Streit zwischen Stadtentwicklungssenator Müller und Finanzsenator steckenbleiben und zerrieben werden, denn das ist die größte Herausforderung für die nächsten Jahre, vor der wir alle stehen. Nach einem Jahr stellt man aber leider fest: Die SPD blockiert sich am liebsten selbst, und die CDU wundert sich bis heute, dass sie an der Regierung ist.

Diese große Koalition kann nicht einmal kleine Brötchen backen. Das hat unsere Stadt nicht verdient. Die große Koalition ist kein Modell für die Zukunft unserer Stadt und erst recht keines für den Bund im nächsten Jahr.“

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