Plenarrede von Ramona Pop zur Aktuellen Stunde „Berlin vor der Wahl“, 08. September 2016:
Wir sind heute zur letzte Plenarsitzung zusammengekommen. In den letzten fünf Jahren haben wir gerungen, ja teilweise heftig um die richtigen Lösungen gestritten, aber wir haben das in dem Wissen getan, welch Privileg es ist, in einer Demokratie leben zu dürfen.
„Wir wollen ein Berlin, das seine Zukunft baut, das Großprojekte mutig angeht und zu ihnen steht.“ (Zitat Koalitionsvertrag 2011)
In Wirklichkeit hinterlassen Wowereit, Müller und Henkel 15 Milliarden Sanierungsstau, davon 5 Milliarden an Schulen. Der Wohnungsbau kommt nicht hinterher, zum Großprojekt BER will dieser Senat am liebsten gar nichts mehr sagen oder es sieht so aus wie Staatsoper.
Diese Koalition (der Infrastruktur) ist gescheitert.
Berlin bleibt, lese ich überall. Soll die Streiterei im Senat so weitergehen wie bei CDU und SPD? Soll es am BER und am LaGeSo bleiben wie es ist? Soll es auf dem Bürgeramt bleiben wie es ist? Sollen die Wohnungsnot, die schlechte Radverkehrspolitik und der verstopfte öffentliche Nahverkehr bleiben – so wie die maroden Brücken, Schulen und Krankenhäuser?
Ich sehe mit einigem Erstaunen, dass die SPD angeblich mit uns Grünen koalieren möchte und gleichzeitig die Botschaft sendet, in Berlin werde alles bleiben, wie es ist.
Man kann noch so viele Wahlplakate aufstellen – aber eigentlich muss man sich nur mit dem Fahrrad zum Wahllokal in einer baufälligen Schule durchkämpfen, um zu wissen, dass sich in Berlin dringend einiges ändern muss.
Berlin bleibt nicht, weil Berlin wächst – und sich dabei verändert. Und diese Veränderung werden wir auch am Wahlabend sehen. Dann wird klar sein: Das neue Berlin will kein „Weiter so“. Das neue Berlin will eine andere Politik!
Diese Stadt braucht einen politischen Neuanfang und den kann sie am 18. September auch bekommen.
Alle Parteien werden sich bewegen müssen, um diese neue Politik auf den Weg zu bringen. Keine Partei steht für das Ganze – und sollte sich das auch nicht anmaßen. Niemand setzt allein die politischen Maßstäbe oder zieht rote Linien, wo es ihm passt. Berlin gehört niemanden außer den Menschen, die in dieser Stadt leben. Wer es vergessen hat, den werden die Wählerinnen und Wähler am nächsten Sonntag daran erinnern. Berlin geht nur gemeinsam.
Wenn ich sage, wir sind alle nur ein Teil und niemand setzt allein die politischen und gesellschaftlichen Maßstäbe, dann habe ich dabei ganz besonders die AfD im Blick. Da denken ja einige, sie repräsentierten höchstpersönlich die Mehrheits- und Leitkultur oder gar gleich das ganze Volk. Welch ein Irrtum!
Berlin ist die Stadt der Freiheit, Vielfalt und Weltoffenheit. Und der Wahlabend wird zeigen: auch die autoritären Deutschtümler sind eine Minderheit. 90 Prozent der Berlinerinnen und Berliner stehen auf der anderen Seite, stehen für eine menschliche Flüchtlingspolitik, für Hilfsbereitschaft, für eine unsere moderne und liberale Stadt.
Wir Grüne haben jahrzehntelang für eine offene, moderne Gesellschaft gekämpft, für gleiche Rechte für Lesben und Schwule, für die Gleichberechtigung von Männern und Frauen, für Religionsfreiheit und Weltoffenheit – für all das, was Berlin heute im Herzen ausmacht und zusammenhält. Die Berlinerinnen und Berliner sind zurecht stolz auf ihre menschliche und liberale Stadt und werden sich das auch nicht von von Angstmachern, Klimawandelleugnern und Hetzern kaputt machen lassen!
Am 18. September kommt es auf jede Stimme an! Gehen Sie wählen, geht bitte alle wählen, damit es in Berlin kein böses Erwachen gibt!
Die Rechtspopulisten haben nur Hass und Angst im Gepäck, statt Lösungen und Ideen, wie man die Dinge besser macht. Ich möchte mal wissen, wie die einen Stadtratsposten ausfüllen wollen, wenn ihnen einer zufällt?
Um die besten Lösungen, Ideen und Antworten – darum sollte es am Wahlsonntag gehen. Nicht um persönliche Eitelkeiten, sondern darum, dass diese Stadt endlich besser regiert wird.
Lebenswerte Kieze und bezahlbares Wohnen, mehr Sicherheit im Radverkehr und einen besseren ÖPNV, moderne Verwaltung und ein ambitionierter Klimaschutz, der es nicht nur bei drei Windrädern belässt – Politik mit Gestaltungsanspruch gibt es nur mit starken Grünen!
Nach fünf Jahren rot-schwarzer Lähmung gibt es eine Wechselstimmung in unserer Stadt – und eigentlich schon heute eine Mehrheit von SPD und Grünen im Abgeordnetenhaus. Doch die SPD hat in den letzten Koalitions-Verhandlungen die erstbeste Chance genutzt, lieber die CDU ins Boot zu holen, deren Gestaltungswille sich in etwa mit dem der SPD deckte.
Wer am Wahlsonntag SPD wählt, dem kann es also passieren, dass er weitere fünf Jahre lang ertragen muss, wie sich Michael Müller und Frank Henkel um die Plastikente in der Badewanne streiten.
Man muss sich das einmal vorstellen: die deutsche Hauptstadt wird regiert von einer Großen Streitkoalition, wo der Innensenator den Regierenden Bürgermeister mit dem korrupten ehemaligen FIFA-Präsidenten Blatter vergleicht und der Regierende postwendend öffentlich erklärt, der Stadt ginge es besser ohne seinen Stellvertreter.
Das hat Berlin nicht verdient. Wir wollen einen Senat, der gemeinsam Verantwortung übernimmt und für Berlin arbeitet. Denn Berlin geht nur zusammen. Niemand setzt allein die Maßstäbe, die Zeit der Basta-Politik über die Köpfe der Menschen hinweg, ist vorbei.
Die Wählerinnen und Wähler haben am 18. September die Wahl zwischen Veränderung oder Stillstand.
Wollen die Berlinerinnen und Berliner eine Metropole, in der man sich offen begegnet, große und kleine Kultur genießt und wo man in der Spree baden kann. In der auf den Dächern Solaranlagen umweltfreundlich Strom erzeugen. In der Altberliner*innen syrischen Flüchtlingen Deutsch beibringen. Ich sage JA!
Oder wollen sie eine Stadt, in der mit Angst und Misstrauen Politik gemacht wird, in der Kohle in den Kraftwerken und im Landeshaushalt verfeuert wird, in der es mehr Parkplätze als Parks gibt, in der die Mieten weiter explodieren und sogar der Verkehrssenator Angst hat, Fahrrad zu fahren. Ich sage, davon haben sie die Nase voll!
Politik lebt vom Wechsel und davon, dass diejenigen gewählt werden, die Probleme nicht nur erkennen, sondern sie auch lösen wollen. Berlin gehört niemandem, erst recht keiner Partei.
Eine Politik, die schon vor der Wahl das Fell des Berliner Bären verteilt, vor der Wahl schon Koalitionsverhandlungen führt oder rote Linien zieht, führt nur zu einem weiteren Verlust an Glaubwürdigkeit und das in Zeiten, in denen wir uns dringender denn je Gedanken machen müssen, wie wir das Vertrauen in Politik zurückgewinnen.
Lieber Michael Müller, wirklich etwas gewinnen würden die Berlinerinnen und Berliner, wenn Sie hier ohne Wenn und Aber erklären würden, dass Sie dafür sorgen, dass kein Cent weiteres Steuergeld mehr in den BER mehr gepumpt wird.
Und dass wir stattdessen gemeinsam mit dem Vorrang für Zukunftsinvestitionen ernst machen. Für neue Fahrradwege und sichere Straßen, für gute Kitas, Schulen und Krankenhäuser – für eine moderne Stadt.
Wir Grüne müssen uns nicht verstecken mit unseren Vorschlägen für eine lebenswerte Stadt und bezahlbare Mieten in einer wachsenden Stadt. Wir haben einiges für diese Stadt getan, wenn wir die Gelegenheit dazu hatten. Nur zur Erinnerung:
Beim Flanieren durch das Brandenburger Tor muss sich heute niemand mehr den Pariser Platz mit zwei (!) Bundesstraßen teilen.
Es brauchte erst den Mut und die Phantasie einer grüne Umweltsenatorin, um statt geplanter Autobahn den Park am Gleisdreieck auf den Weg zu bringen. Heute sind wir alle stolz auf dieses grüne Idyll.
Wie man heute noch die verstaubte Diskussion „Pappel gegen Wohnungen“ gegen uns anzetteln kann, ist mir ein Rätsel. Und wenn es um den Wohnungsbau geht, lieber Herr Geisel, werden wir mit der Pappel schneller fertig als Sie mit Ex-Senator Strieder.
Nicht SPD, CDU oder Linkspartei – sondern wir Grünen waren die ersten, die hier für mehr Mieterschutz und Investitionen in den sozialen Wohnungsbau gestritten haben. In den Bezirken, in denen Grüne Verantwortung tragen, gibt es heute die meisten Milieuschutzgebiete und ist in den vergangenen Jahren am meisten gebaut worden.
Natürlich sind mehr bezahlbare Wohnungen ein Muss! Aber es reicht nicht aus, wenn Bagger für den Wohnungsbau rollen. Durchmischte, lebendige Quartiere sind keine grüne Spinnerei, sondern das, was die Menschen sich wünschen. Damit auch Familien weiterhin in der Stadt leben können, auch wenn sie ihr zweites oder drittes Kind bekommen. Dafür werden wir Grüne in den nächsten zehn Jahren mindestens 50 neue Schulen bauen.
Aber auch der ÖPNV muss mit der Bevölkerung wachsen, der Energieverbrauch und CO2-Ausstoß sollen es hingegen nicht. Oder sind wir hier die einzigen, die Berlins Klimaschutzvorgaben noch erfüllen möchten?
Die nächste Regierung wird die heillos verfahrene Lage in der Energiepolitik lösen müssen, damit Berlin endlich fit wird für die Energiewende. Wir sagen ganz deutlich: Entscheidend ist nicht allein, dass man rekommunalisiert; entscheidend ist, dass sich die Lebensqualität verbessert und der Klimaschutz vorankommt. Was nützt die Gründung eines Stadtwerks, wenn es anschließend verkümmert? Was nützen Zukäufe von Anteilen der Energieversorger, wenn danach die Energieerzeugung weitergeht wie vorher?
Wir brauchen eine Investitionsoffensive in Solaranlagen und Blockheizkraftwerke, wir brauchen mehr Windkraftwerke im Umland, ein effektives Energiemanagement für alle öffentliche Gebäude und Investitionen in moderne Mobilität.
Wir Grüne haben den Radverkehr heute nicht zum ersten Mal zur Priorität gemacht: Heute bringen wir den Gesetzentwurf zum Fahrradvolksentscheid ins Parlament ein. Berlin hat einen riesigen Nachholbedarf, nicht nur beim Radverkehr. Wir wollen, dass alle in Berlin schnell, zuverlässig und umweltfreundlich von A nach B kommen! Das wollen wir anpacken und uns traut man dies auch zu!
Dieser zerstrittene Senat hat sich als größter Klotz am Bein einer modernen Stadtentwicklung erwiesen. Ich will Ihnen mal drei Beispiele dafür nennen:
Dass der BER einfach nicht fertig wird, ist ja nicht nur irrsinnig teuer und peinlich für die Stadt. Es verhindert auch die Weiterentwicklung Tegels zum Technologiepark und bremst Berlins wirtschaftliche Entwicklung aus. Das BER-Desaster bedeutet eben auch, dass über 5.000 Wohnungen in Tegel nicht gebaut werden können.
Weil SPD und CDU bis heute 20 Grundstücke blockieren, wo Flüchtlingsunterkünfte entstehen sollen, müssen die Geflüchteten weiter in Turnhallen und in den Hangars in Tempelhof leben. Das ist eine Integrationsbremse ohnegleichen und verhindert die Entwicklung Tempelhofs zu einem Kulturhafen, der dringend benötigt wird.
Genauso ist es mit dem ICC: die Sanierung kündigte Michael Müller in seinem ersten Bürgermeisterinterview groß an – und dabei blieb es auch. Weil Sie das neue Landesamt für Flüchtlinge mit zwei Jahren Verzögerung auf den Weg gebracht und noch immer mit der Immobilie hadern, muss das ICC als Aufnahmeeinrichtung herhalten. Und das für Berlin so wichtige Kongressgeschäft bleibt außen vor.
Tegel – Tempelhof – und auch beim ICC: diese Koalition ist die Infrastrukturbremse für die Stadt und das wissen die Menschen auch!
Nach 15 Jahren Rot-Rot und Rot-Schwarz ist auch die Verwaltung ausgebremst. Wir Grüne drücken uns nicht vor der überfälligen Modernisierung der Verwaltung. Wir werden jährlich mindestens 1000 neue Einstellungen machen, denn uns steht ein Generationswechsel bevor. Warum nicht diesen mit der überfälligen Modernisierung und Digitalisierung der Verwaltung zusammen denken? Unsere Vorschläge für eine leistungsstarke Verwaltung, für gute Arbeitsbedingungen und eine angemessene Entlohnung, liegen seit Jahren auf dem Tisch. Andere sind es, die sich davor bislang drücken.
Die größte Aufgabe des nächsten Jahrzehnts besteht in der Integration der geflüchteten Menschen. Natürlich leben wir längst in einer multikulturellen Gesellschaft. In Berlin, wo jeder Dritte einen Migrationshintergrund hat, ist Vielfalt selbstverständliche Realität. Wenn die mehr als 200.000 Menschen in unserer Stadt, die wie ich eine doppelte Staatsbürgerschaft besitzen, von einem Innensenator als Sicherheitsrisiko angesehen werden – dann zeugt es von einem gewaltigen Realitätsverlust oder schlicht von Regierungsunfähigkeit.
In diesem Zusammenhang auch eine klare Ansage an SPD und Linke: Von Sigmar Gabriel bis Sahra Wagenknecht häufen sich die Äußerungen, die an der Aussage „Wir schaffen das“ mit der erkennbaren Absicht herummäkeln, politisch in alle Richtungen zu blinken. Dazu sage ich Ihnen für Bündnis 90/Die Grünen mit aller Deutlichkeit: Die Entscheidung von vor einem Jahr, die in Ungarn gestrandeten Flüchtlinge bei uns aufzunehmen, war und bleibt richtig! Sie war europapolitisch und menschlich richtig. Anders als die SPD waren wir an ihr nicht beteiligt, aber wir stehen politisch zu ihr – uneingeschränkt. Denn Weltoffenheit und Humanität sind für uns nicht verhandelbar.
Die Große Koalition hat vor allem eins gezeigt: Sie nimmt die Menschen nicht ernst. Der nächste Eröffnungstermin für den BER wird erst nach der Wahl bekannt gegeben. Die Ergebnisse der Vergleichsarbeiten Berliner Schüler wollte die SPD-Senatorin verheimlichen. Der Bausenator verteilt Ausnahmegenehmigungen an Parteifreunde. Dieses Verhalten sollte nicht an der Wahlurne belohnt werden!
Wer den Herren Henkel und Müller am Montagabend beim Kuscheln zugesehen hat, dem dürfte klar geworden sein: Wer SPD wählt, muss vielleicht fünf weitere quälende Jahre Rot-Schwarz in Kauf nehmen. Diese Hintertür ist bei Michael Müller so offen wie eh und je bei der SPD. Wir Grüne haben dagegen keinen Hehl daraus gemacht, dass wir für eine Zweierkoalition kämpfen und viele Gemeinsamkeiten mit der SPD sehen.
Wir wollen, dass sich Berlin bewegt und sich wieder etwas zutraut. Die Bürgerinnen und Bürger wollen eine neue politische Kultur, in der wir einander zuhören und im Miteinander unsere Stadt gestalten. Die Stadt braucht Kräfte in der Regierung, denen es um die Sache geht. Regieren ist nämlich kein Selbstzweck.
Wer einen politischen Neuanfang für Berlin möchte, sollte deshalb am 18. September mit allen Stimmen Grün wählen.