Ramona Pop im Interview mit der Berliner Zeitung: „Die Attraktivität Berlins ist ungebremst“

Laut Job-Beschreibung ist ein Wirtschaftssenator oder eine Wirtschaftssenatorin, Berlins oberste(r) Wirtschaftsförderer(in). Er/sie muss die Rahmenbedingungen schaffen, damit sich Unternehmen für eine Investition entschließen. Dennoch macht das Budget der Senatswirtschaftsverwaltung nur zwei Prozent vom Landeshaushalt aus. Und in dieser Situation muss Wirtschaftssenatorin Ramona Unternehmern aus aller Welt erklären, was gerade in Berlins los ist: Debatten über Enteignung und Investorenfeindlichkeit. In einer kurzen Pause während der Plenarsitzung hat die 41-jährige Grünen-Politikerin Zeit für ein Interview.

Frau Pop, Berlin diskutiert über die Enteignung von Wohnungskonzernen. Was halten Sie als Wirtschaftssenatorin davon?
Dass bei vielen Menschen in Berlin das Grundgefühl vorherrscht, dass ihre Wohnung nicht mehr sicher ist, sollte allen zu denken geben, sowohl der Politik als auch der Gesellschaft. Dennoch warne ich davor, das Wort Enteignung leichtfertig in den Mund zu nehmen.

Und was heißt das konkret?
Bundesweit gibt es eine Diskussion über exorbitante Rendite, die mit Wohnraum erzielt wird. Immobilien in der Metropole Berlin sind besonders begehrt. Den Preis dafür müssen Mieterinnen und Mieter zahlen. Die Politik muss eingreifen, nicht nur in Berlin, sondern auch im Bund.

Wie könnte das aussehen?
Wir müssen alle Instrumente nutzen, um Mieterinnen und Mieter zu schützen: Wir müssen neue, bezahlbare Wohnungen bauen. Wir kaufen Bestände auf, wo es möglich ist. Und wir müssen weitere Regulierungen und Deckelungen von Mietsteigerungen auf den Weg bringen. Dieser Dreiklang – bauen, kaufen, regulieren – ist essenziell. Auch darf die Bundesregierung nicht weiter wegschauen: Das Mietrecht muss dringend zugunsten der Mieter geändert werden.

Der Regierende Bürgermeister hat sich nun gegen die Enteignung ausgesprochen. Sind Sie erleichtert? 
Eine klare Positionierung ist gut. Jahrelange, auch juristische Debatten, mit ungewissem Ausgang helfen im übrigen auch keinem Mieter.

Mit der Forderung, Großvermieter zu enteignen, rückt auch eine andere Debatte wieder ins Licht: Wie investorenfeindlich ist eigentlich Berlin? 
In Gesprächen merke ich, dass Unternehmen und Investoren Vertrauen in den Wirtschaftsstandort haben. Berlin wächst wirtschaftlich seit Jahren über dem deutschen Durchschnitt. Seit Rot-Rot-Grün regiert, haben wir 100.000 neue Arbeitsplätze geschaffen. Das Start-up-Barometer der Unternehmensberatung Ernst & Young zeigt, wie viel privates Wagniskapital investiert wird. Dabei belegt Berlin mit Milliardenbeträgen Platz 1. Wenn hier so viel investiert wird, kann das Klima nicht schlecht sein.

Doch es gibt auch andere Beispiele. Zuletzt hat Google nach Protesten den in Kreuzberg geplanten Campus abgesagt. 
Beim Thema Google habe ich mich geärgert: Es wird kaum darüber berichtet, dass Google in Berlin rund 300 Mitarbeiter beschäftigen wird. Oder dass Google hier einen Schwerpunkt auf das Thema Künstliche Intelligenz legen will. Man stürzt sich auf die Nachricht zur Einstellung des Google Campus. Dort sollten zwölf Mitarbeiter anfangen – da bitte ich, die Relationen zu beachten. So kann man Berlin schlechtreden, hilfreich ist das nicht. Es wäre auch schön, wenn man den vielen neuen Ansiedlungen und Unternehmenserweiterungen – darunter auch bekannte Namen wie N26, Nike oder Berliner Glas – Beachtung schenkt. Die Attraktivität Berlins für Unternehmen ist ungebremst, insbesondere aufgrund unserer Fachkräfte und Expertise in der Digitalwirtschaft.

Dennoch gab es bei Google einen sehr berlinischen Abwehrreflex …
Schauen Sie sich mal in der Welt um, alle Metropolen haben die gleichen Themen. In New York läuft gerade eine ähnliche Diskussion, um eine geplante Amazon-Ansiedlung…

Dort hat der Versandhändler nach Protesten seine Pläne für ein Milliarden-schweres Hauptquartier abgeblasen…
Diskutiert wird dort die Frage: Wie konkurrieren Unternehmen, Institutionen, Verwaltung und soziale Infrastruktur um freie Flächen? Dieses Thema bewegt alle wachsenden Metropolen.

Sie halten engen Kontakt zur Wirtschaft. Wie sind da die Rückmeldungen: Schrecken Negativ-Beispiele wie Google dennoch ab? Muss sich Berlin inzwischen mehr Mühe geben, um Start-ups anzuziehen? 
Der Start-up-Barometer und andere Erhebungen zeigen, dass uns europaweit nur London und Paris Konkurrenz machen. Das bedeutet nicht, dass wir uns ausruhen dürfen. Wir unterstützen mit Programmen wie dem neuen Start-up-Stipedium, oder mit der schnellen Vermittlung von Aufenthaltstiteln für ausländische Fachkräfte. Ansonsten erhalten wir vor allem Anfragen nach Flächen, weil Start-ups erweitern wollen. 

Für wie groß halten Sie überhaupt den Einfluss von Politik auf unternehmerisches Handeln? Das Deutsche Institut für Wirtschaft hat einmal geschätzt, dass es 10 bis 15 Prozent sind.
Wir wissen, dass für Zukunftsunternehmen bei Neuansiedlungen ein Mix wichtig ist: starke Hochschulen und Wissenschaft, Talente aus der ganzen Welt – und andere Unternehmen derselben Sparte vor Ort. Das ist das berühmte Ökosystem, das sie hier in Berlin vorfinden. Außerdem wollen wir ja auch nicht wirtschaftliche Entscheidungen beeinflussen, sondern primär für bestmögliche Rahmenbedingungen für die Unternehmen in Berlin sorgen.

Am Beispiel Siemens-Campus: Was ist der Anteil des Landes daran, dass ein Unternehmen mehr als 600 Millionen Euro investiert? 
Siemens ist ein Berliner Unternehmen und kommt mit seinem Innovationscampus zurück nach Berlin. Da haben wir uns durchgesetzt, auch gegenüber Standorten in Asien. Das ist ein großer gemeinsamer Erfolg für die Stadt und die Koalition.

Und der Berliner Anteil?
Unser Berliner Anteil ist eine offene und konstruktive Einstellung und schnelles, dynamisches Handeln. Der Senat und Siemens haben in Projektgruppen zusammengearbeitet. Wir haben gemeinsam überlegt: Wie wollen wir das Quartier entwickeln? Es geht um Infrastruktur, um Energie, Breitband und Verkehr. So investieren wir in den Ausbau des Personennahverkehrs – allen voran mit der reaktivierten Siemensbahnzwischen Gartenfeld und Jungfernheide –, in den Breitbandanschluss und in den Straßenausbau. Aber es gibt keine konkrete Summe.

Wir müssen auch über den Zustand der rot-rot-grünen Koalition sprechen. Vor allem die SPD schießt immer wieder quer, zuletzt mit Attacken auch gegen Sie. 
Eine Senatssitzung dauert anderthalb Stunden und hat unter Umständen 20 Tagesordnungspunkte. Da werden Themen manchmal sehr kurz und knapp adressiert und der Ton rutscht auch mal ins Schroffe ab. Ich bin ein großer Fan davon, Differenzen intern und direkt anzusprechen. Einfach anrufen und nachhören, worum es geht.

Mit Blick auf die Umfragewerte, bei denen die SPD den Partnern hinterherhinkt: Hat die SPD den Zwist nötig, um sich abzugrenzen?
Was die SPD nötig hat, kann nur die SPD beantworten. Aber gucken Sie sich die Opposition an: Die CDU hat schon grüne Bürgermeister aus der Provinz nötig, um überhaupt eine Rolle zu spielen. Trotz der Schwäche der Opposition sollte man nicht anfangen, sich als Koalition ständig mit sich selbst zu beschäftigen. Wir fahren am besten, wenn wir uns auf die Herausforderungen unserer Stadt konzentrieren. Zum Problemlösen, nicht zum Meckern haben uns die Berlinerinnen und Berliner gewählt.

Das Gespräch führten Annika Leister und Elmar Schütze. 

https://www.berliner-zeitung.de/berlin/ramona-pop-im-interview–die-attraktivitaet-berlins-ist-ungebremst–32109406