Warum wirken einige Grüne gerade etwas von der Rolle? Berlins Wirtschaftssenatorin Ramona Pop im Gespräch mit Ulf Poschardt.
Ramona Pop ist Realo-Grüne und Wirtschaftssenatorin im rot-rot-grünen Berliner Senat. Wir führten mit der 42-Jährigen ein Interview via E-Mail-Pingpong aus dem Homeoffice.
WELT:
Frau Pop, jetzt wird der Flughafen in Berlin doch noch eröffnet – und keinen interessiert es. Oder ist es schlimmer, dass vielleicht kaum geflogen wird zur Eröffnung?
Ramona Pop:
Wenn der Flughafen dieses Jahr dann endlich öffnet, wird das die Menschen – nicht nur in Berlin – interessieren. Wenn der neue Flughafen nicht gleich mit Volllast startet, ist es kein Problem. Aber die Gesellschafter des Flughafens, also der Bund, Berlin und Brandenburg, haben viel Geld in den BER investiert, dort müssen jetzt Kredite bedient werden. Niemand will ein dauerhaftes Zuschussgeschäft.
Müssen Sie als Grüne nicht eigentlich gegen Flugverkehr sein?
Mobilität muss klimafreundlich möglich sein, es wird höchste Zeit dafür. Innerdeutsch und europäisch sollte die Bahn das Mittel der Wahl sein und ein entsprechendes Angebot haben. Für jemanden, der aus China oder aus den USAnach Berlin möchte, gibt es keine Alternative zum Fliegen, hier sind nachhaltige Antriebstechnologien noch rar. Mein Credo ist: Wir müssen uns für Alternativen bei den Kurzstrecken einsetzen, damit wäre viel gewonnen. Telefon- und Videokonferenzen sind im Übrigen auch Alternativen zum Einfliegen von zehn Leuten für ein Zwei-Stunden-Meeting. In Berlin bauen wir den Nahverkehr mit mehr als 25 Milliarden Euro aus, das soll uns mal einer nachmachen. Vergleichbare Investitionen muss auch der Bund bringen, wenn sich die Dinge verändern und unter Mobilität anderes als nur Fliegen verstanden werden soll.
Was waren die größten Fehler im Handling der Corona-Krise des Berliner Senats?
Ich glaube, die erste Frage ist: Waren wir auf eine solche Pandemie hinreichend vorbereitet? Es gibt Pandemie- und Krisenpläne, und dennoch ist jede Krise neu und anders. Wichtig ist, schnell zu handeln, und das ist uns in Bund und Ländern nach ersten Abstimmungsschwierigkeiten gut gelungen.
Okay, und für Berlin?
Für Berlin kann ich sagen, dass wir die Zeichen der Zeit durchaus schnell erkannt haben. Als wir Ende Februar die große Reisemesse ITB abgesagt haben, hielten einige das noch für übertrieben. Das sieht jetzt wohl niemand mehr so.
Wie leidenschaftlich waren die Öffnungsdiskussionsorgien in Ihrer Partei?
Allen ist bewusst, dass wir uns weiter in einer Krisensituation befinden. Jede Lockerung muss angesichts der gesundheitlichen Lage verantwortbar sein. Auf keinen Fall dürfen unsere Schritte zu einer zweiten Welle der Infektionen führen. Deswegen sind Kontaktbeschränkungen und Abstandsregelungen weiterhin das Gebot der Stunde. Trotzdem glaube ich ganz fest: Es ist richtig, dass wir in Deutschland und auch in meiner Partei diese Einschränkungen unserer Freiheitsrechte kritisch diskutieren. Unser Staat ist dazu da, um den Bürgern ihre Freiheiten zu ermöglichen, nicht um sie einzuschränken. Jeder Eingriff muss verhältnismäßig sein, und diese Abwägung treffen wir verantwortlich.
Und in Ihrer Partei?
Für das phasenweise und bedachte Vorgehen in Berlin gibt es eine hohe Akzeptanz, auch in meiner Partei. Natürlich sind wir – nicht nur Grüne – besonders sensibel bei der Einschränkung von Grundrechten wie Versammlungs- und Religionsfreiheit. Deshalb gehen wir hier auch Schritt für Schritt wieder in die Liberalisierung. Immer mit der Maßgabe, dass der Gesundheitsschutz die oberste Maxime ist.
Wie geht es den Unternehmen in Berlin, und was muss für sie jetzt noch getan werden?
Die Corona-Pandemie stellt alle Unternehmen vor ungeahnte Herausforderungen. Das Land Berlin hat in einem Kraftakt sehr schnelle Soforthilfe geleistet: mit Liquiditätshilfen für alle Unternehmen und unbürokratischen Zuschüssen für die besonders betroffenen Selbstständigen und Freiberufler. Da geht es um erhebliche Summen: allein bei den Zuschüssen liegen wir bei knapp zwei Milliarden Euro. Das hat vielen Luft zum Atmen gegeben. Wichtig ist auch, dass wir den Mittelstand noch stärker in den Blick nehmen. Wir haben in Berlin bereits ein spezifisches Programm für Unternehmen mit mehr als zehn Mitarbeitern entwickelt, aber auch der Bund könnte sein Zuschussprogramm noch mittelstandsfreundlicher gestalten. Und schließlich gibt es Branchen, bei denen jetzt schon klar ist, dass die Durststrecke länger wird: Gastronomie, Tourismus, Kultur. Allein am Tourismus hängen in Berlin über 230.000 Arbeitsplätze. Auch in diesem Bereich muss der Bund zusammen mit den Ländern möglichst schnell weitere Hilfen auf den Weg bringen, sonst droht eine riesige Pleitewelle.
Muss das am Ende mit höheren Steuern und einer Vermögensabgabe finanziert werden?
Erst mal ist es wichtig, dass wir jetzt in der Lage sind, die gesundheitlichen Maßnahmen und die wirtschaftlichen Stabilisierungsprogramme zu finanzieren. Dafür ist es richtig, die Schuldenbremse auszusetzen, die ja für solche Notfälle ganz explizit Ausnahmen vorsieht. Wie die Lasten der Krise am Ende verteilt werden, wird sicher noch diskutiert werden. Für mich stehen dabei zwei Dinge fest. Erstens: starke Schultern können mehr tragen als schwache.
Das ist wieder eine typisch – bitte sehen Sie es mir nach – grüne Binse. Die starken Schultern tragen ja bereits heute sehr viel mehr als alle andern. Was heißt das konkret?
Zurzeit befinden wir uns noch in der Phase der Soforthilfen, große Schutzschirme werden aufgespannt. Gleichzeitig sagen die Institute eine Rezession mit Arbeitsplatzverlusten voraus. Die Kosten dieser Krise und die Stimulationsprogramme zur Bewältigung werden Geld kosten. Derzeit geht man im Bund den Weg der Verschuldung, der in einer solchen akuten Krise alternativlos ist. Was darüber hinaus noch nötig wird, kann heute noch niemand seriös beziffern beziehungsweise beschreiben. Deshalb kann ich hier nur Grundlinien für künftige Überlegungen formulieren. Nennen Sie das Binse, ich bleibe lieber seriös.
Und welche zweite Sache steht noch fest?
Und zweitens: Die wirtschaftliche Erholung, die der Pandemie hoffentlich möglichst bald folgt, darf nicht gefährdet werden.
Nach der heftigen Rezession kommt ein Primat der Wirtschaftspolitik. In der eher grünen „taz“ bejubeln Degrowth-Ökonomen das Ende des Wachstums-Fetischs. Ist das in Ihrem ökologischen Sinne?
Ich habe nie zu denen gehört, die Wachstum per se als schädlich erachten. Ich kann mich noch an Zeiten mit schrumpfender Wirtschaft und einer Arbeitslosigkeit von knapp 20 Prozent in Berlin erinnern. Da will niemand hin zurück. Es sollte sich im Übrigen auch kein Klimaschützer darüber freuen, dass jetzt weniger geflogen oder konsumiert wird. Erstens ist das ja nicht nachhaltig. Und zweitens ist die Corona-Pandemie gerade für den Klimaschutz ein riesiges Desaster: Wir verlieren wertvolle Zeit, und die Klimakatastrophe scheint ferner als sie ist. Was ein Trugschluss ist.
Wie sieht eine grüne Post-Corona-Wachstumspolitik aus?
Nicht nur die Grünen haben die Idee, wirtschaftliche Dynamik und beherztes Handeln gegen die Klimakrise zu verbinden. Selbst große Investmentgesellschaften setzen auf Nachhaltigkeit als Schlüssel zu künftigem Wachstum. Denn die Klimakrise ist eine handfeste ökonomische Bedrohung – und was es bedeutet, krisenfest zu sein oder zu werden, lernen wir dieser Tage sehr deutlich. Deswegen müssen Klimaschutz und Wachstumspolitik zusammen gedacht werden. Also Investitionen in Zukunftsfelder: Digitalisierung und digitale Infrastruktur, Elektromobilität und Energiewende beispielsweise. Die x-te Abwrackprämie dagegen wäre einfallslos und würde die falschen Anreize setzen.
Freuen Sie sich, wenn Sie auf Instagram Robert Habeck beim Schneiden seiner Haare sehen?
Sicherlich freuen sich die Menschen, dass die Friseure Anfang Mai unter Einhaltung bestimmter Hygieneregeln wieder öffnen können. Und Robert freut sich darüber bestimmt auch.
Warum wirken einige Grüne im Augenblick etwas von der Rolle? Ist die Partei eher für Schönwetterlage tauglich?
Das halte ich für ein Gerücht. Ich darf daran erinnern, dass ein grüner Außenminister und Vizekanzler, Joschka Fischer, die deutsche Außenpolitik nach dem 11. September gestaltet hat. In vielen Bundesländern sind Grüne in Regierungsbeteiligung und tragen Verantwortung. Und das machen sie, wenn es nach den Wählerinnen und Wählern geht, insgesamt ziemlich gut.
Also ist Winfried Kretschmann so bestimmend für die Politik in Deutschland wie Markus Söder, Armin Laschet oder Tobias Hans?
Winfried Kretschmann macht einen gewohnt guten Job für Baden-Württemberg. Und wir Grüne in der Hauptstadt arbeiten gut für Berlin. Zusammen stimmen wir uns mit den anderen grün regierten Ländern gut ab. Einen Hahnenkampf wie derzeit zwischen Bayern und NRW hat man bei unseren grünen Ländern nicht gesehen.
Die Umfragen bewerten das Handeln der beiden Ministerpräsidenten in Münchenund Düsseldorf anders. Die Bürger feiern die beiden eher. Oder?
Man kann Politik nach dem Motto „Spieglein, Spieglein an der Wand“ machen, meine Sache ist das nicht. Die Erwartung an die Politik ist, verlässlich und verantwortlich diese Krise zu bewältigen und nicht Schönheitswettbewerbe zu veranstalten.
Wie geht es weiter mit den Schulen und Kitas? Ich kenne einige akademische Eltern im Homeoffice, die beim Homeschooling auf dem Zahnfleisch gehen. Können Sie eine Perspektive geben?
Nach über einem Monat Corona-Pandemie und der Doppelbelastung von Homeoffice und Kinderbetreuung sind Eltern und insbesondere Alleinerziehende am Rande ihrer Kräfte. Die Berliner Schulen werden wieder schrittweise geöffnet. Ab Montag können wieder mehr Kinder die Kitas besuchen. Unter Berücksichtigung der epidemiologischen Situation wird der Betreuungsbetrieb stufenweise und zügig wieder aufgenommen. Deutlich vor dem 1. August sollen alle Eltern für ihr Kind wieder ein Betreuungsangebot erhalten.
Die Straßen in Berlin werden wieder voller. Sind die Berliner übertrieben sorglos?
Bisher waren die Berlinerinnen und Berliner sehr sorgsam. Ich hoffe sehr und appelliere an alle, dass das so bleibt. Kontaktbeschränkungen, Abstandsregeln und Mund-Nasen-Schutz sind weiter das Gebot der Stunde. Wir dürfen nicht aufs Spiel setzen, was wir durch unser gemeinsames verantwortungsvolles Handeln erreicht haben. Damit das gelingen kann, sind alle gefragt.
Sind Sie für eine Maskenpflicht in Berlin?
Wir haben uns auf eine Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasenschutzes im Nahverkehr verständigt, weil hier der gebotene Mindestabstand von 1,5 Metern nicht eingehalten werden kann. Und natürlich gilt für alle anderen öffentlichen Bereiche die dringende Empfehlung der Bundeskanzlerin. Jede Bedeckung von Mund und Nase senkt das Risiko. Ablenken sollte diese Diskussion aber bitte nicht davon, dass das Gebot der Stunde weiterhin heißt: physische Kontakte deutlich einschränken und Abstand halten.
Berlin hat einen starken Wissenschafts- und Medizinforschungsstandort: Warum kommt eigentlich kein Impfstoff aus der Hauptstadt?
Berlin verfügt über hervorragende Forschungskompetenzen, eine Vielzahl von Berliner Unternehmen und wissenschaftliche Einrichtungen engagieren sich im Kampf gegen das Covid-19-Virus. Allein 30 davon in unserem Wissenschafts- und Technologiepark Berlin Adlershof. Sie alle leisten einen wichtigen Beitrag, um die Corona-Krise zu bewältigen.