Ramona Pop im Interview mit dem “Neuen Deutschland.” Das Gespräch führte Martin Kröger.
Berlin kann 2018 mit einem Wachstum des Bruttoinlandprodukts von fast drei Prozent rechnen. Außerdem kamen im vergangenen Jahr 50 000 neue Jobs hinzu. Damit setzt sich der längste Aufschwung seit dem Wirtschaftswunder fort. Da gibt es nichts zu meckern, oder?
Ramona Pop: Wir haben in Berlin eine außerordentlich gute Entwicklung, seit Jahren wachsen wir deutlich über dem Bundesdurchschnitt. In den letzten zwei Jahren mit Rot-Rot-Grün sind 100 000 neue Arbeitsplätze entstanden. Hätten wir das im Wahlkampf versprochen, hätte man uns für verrückt gehalten. Jetzt besteht die Herausforderung darin, das Wachstum zu gestalten, damit es auch bei den Berlinerinnen und Berlinern ankommt.
In einigen Medien wurde kritisiert, dass dem Hype etwa bei den Start-ups die Luft ausgeht. Laut einer Studie soll Berlin bei den Start-ups nicht mehr an der Spitze liegen. Fallen die sogenannten Ökosysteme für Gründer gerade trocken?
Mit Verlaub: Ich kenne sehr viele Studien zum Thema Entwicklung der Digitalwirtschaft, die Start-up-Szene in Berlin. Alle haben das gleiche Ergebnis: Berlin liegt an der Spitze, bundesweit und inzwischen auch europaweit mit London und Paris. Was Sie ansprechen, ist eine nicht-repräsentative Studie, deren Daten missverstanden wurden. Fakt, ist: Laut Start-up-Barometer fließen zwei Drittel des Venture Capitals nach Berlin. Inzwischen sind wir auch die Hauptstadt der Finanztechnologien, der Fintechs. Bei der Industrie 4.0 stehen wir ebenfalls blendend da. Aber natürlich ruhen wir uns nicht darauf aus, sondern sorgen weiter für gute Rahmenbedingungen. Wir setzen Impulse für Innovation und bringen Wissenschaft und Wirtschaft zusammen.
Aber es fehlen doch Flächen und die Mieten steigen exorbitant, das wirkt sich doch zum Nachteil der wirtschaftlichen Entwicklung aus?
Natürlich gibt es, wenn die Wirtschaft und die Stadt wachsen, Flächenengpässe. Wir stellen auch fest, dass die Unternehmen schwieriger Fachkräfte finden. Deswegen kümmern wir uns auch verstärkt um diese Themen. Das sind aber alles keine Gründe, einen Abgesang auf den Standort Berlin anzustimmen.
Angesichts der jüngst erfolgten Vereinbarung mit Siemens zum Innovationscampus kann von einem Abgesang keine Rede sein. Wie hoch bewerten Sie diesen Erfolg?
Das ist nicht nur großartig, sondern zeigt auch, wie erwachsen Berlin als Wirtschaftsstandort geworden ist. 600 Millionen Euro sind die größte Einzelinvestition des Konzerns. Siemens findet hier in Berlin alles für die Zukunftsthemen Smart Infrastructures, Energie und Mobilität. Alles getrieben von der Digitalisierung.
Siemens hat aber auch mit anderen Standorten kokettiert. Wie hoch ist der Preis, den das Land Berlin für die Ansiedlung zahlt? Welche Zugeständnisse mussten Sie machen?
Ich denke nicht in solchen Kategorien, sondern in partnerschaftlicher Zusammenarbeit, wo beide Seiten investieren. Wer die Siemensstadt kennt, weiß, da muss etwas passieren. Die Industrieanlagen entsprechen nicht mehr dem heutigen Stand, vieles liegt dort brach, deshalb wollen wir das Areal in ein sogenanntes Urbanes Gebiet umwandeln, um Forschung, Produktion und Wohnen an einem Ort zu ermöglichen.
Mit den Immobiliengeschäften dürfte Siemens viel Geld verdienen, auch das Angebot des Senats, sich für die Reaktivierung der Siemensbahn starkzumachen, dürfte richtig Geld kosten. Bleibt da am Ende für Berlin noch was übrig?
Dieses zukunftsweisende Projekt ist von großer Bedeutung für die Siemensstadt und ganz Berlin. Auch die Signalwirkung ist nicht zu unterschätzen! Dass Siemens sagt, wir bleiben in Deutschland und gehen nicht nach Asien oder die USA. Das wird mehr wert sein, als was beide Seiten investieren. Und die Siemensbahn wird für das gesamte zu entwickelnde Quartier ein Gewinn sein. Dazu wird auch der Bund, der für die S-Bahn zuständig ist, beitragen.
Apropos Signalwirkung. Die Google-Absage wurde zwar in Kreuzberg begrüßt, aber als Wirtschaftssenatorin wurde ihnen vorgeworfen, dass Sie nicht genug getan haben?
Nur zur Erinnerung: Wir sprechen nicht über das Hauptquartier von Google, sondern die Google-Stiftung, die hier einen Campus errichten wollte. Der Internetkonzern hat jetzt entschieden, mehrere Jahre soziale Projekte dort zu verankern. Die Immobilie ist eine Google-Immobilie, bleibt eine Google-Immobilie und damit bleibt das Engagement von Google in Berlin. Natürlich sind wir mit Google im Gespräch, um neue Projekte gemeinsam zu entwickeln.
Das könnte bedeuten, am Ende zieht Google mit in die Siemensstadt?
Wir eruieren, welche Projekte Google in Berlin vorhat.
Kommen wir zu Ihren Gestaltungsmöglichkeiten als Wirtschaftssenatorin. Von außen betrachtet sieht es so aus, dass seit Jahren dieselbe Clusterstrategie, also beispielsweise die Förderung der Gesundheitswirtschaft, verfolgt wird. Gibt es Pläne, an der strategischen Ausrichtung etwas zu verändern?
Wir haben unter Rot-Rot-Grün die Cluster wiederbelebt und mit Inhalten gefüllt, weil die Große Koalition nichts davon hielt, Schwerpunkte zu bilden.
An den Clustern wollen Sie also weiter festhalten?
Wenn man sich anschaut, wo die meisten Arbeitsplätze entstehen und die meisten Investitionen und Wirtschaftsfördermittel fließen, dann sind das nach wie vor die Schwerpunkte Gesundheitswirtschaft, Mobilität, IKT und Energie. Wir sind damit auf dem richtigen Pfad. Der größte und wichtigste Treiber, der sich durch alle Cluster durchzieht, ist die Digitalisierung. Es geht nicht nur um Start-ups, inzwischen kommen Mittelständler und Großunternehmen mit ihren digitalen Einheiten aus dem ganzen Land nach Berlin.
Neben der Privatwirtschaft geht es in Berlin auch um die öffentliche Wirtschaft. Rund fünf Milliarden Euro vergibt das Land Berlin an öffentlichen Aufträgen. Unter Ihrer Federführung wird das Vergabegesetz novelliert. Wann kommt dafür die Vorlage aus Ihrem Haus?
Wir wollen die Menschen am Wirtschaftswachstum teilhaben lassen. Deshalb haben wir den Mindestlohn auf neun Euro angehoben und wollen jetzt weitere Anhebungsschritte vollziehen. Dazu orientieren wir uns an den Eingangsstufen des Öffentlichen Dienstes. Daraus ergibt sich ein Korridor zwischen 10,50 und 11,30 Euro, den wir als Vergabemindestlohn im Gesetz festlegen wollen. Das wird derzeit in der Koalition diskutiert. Natürlich ist die Perspektive, dass man Schritt für Schritt zu einem alterssichernden Mindestlohn kommt.
Das wären die 12,63 Euro, die die SPD derzeit ins Spiel bringt.
Hier ist aber auch deutlich die Bundesregierung gefragt. Wir wollen zudem, dass bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen die Frauenförderung und ökologische Kriterien eingehalten werden. Mit der Novellierung wollen wir kleinen und mittleren Unternehmen den Zugang zu öffentlichen Aufträgen erleichtern.Auch werden wir den bürokratischen Aufwand minimieren.
Die Tariftreue gehört nicht dazu?
Tariftreue zählt zu den sozialen Kriterien. Es gibt eine europäische Regelung zur Tariftreue, die aber noch nicht gilt. Wir prüfen, wie wir die Tariftreue dennoch EU-rechtskonform einfügen können. Wir wollen nicht noch einmal mit einem Vergabegesetz vor Gericht scheitern.
Als Wirtschaftssenatorin sind Sie nicht nur für die Wirtschaftspolitik zuständig, sondern auch für die landeseigenen Betriebe. Die Energiewende, so sagten Sie, sollte durch das Stadtwerk einen Namenbekommen. Wie zufrieden sind Sie mit der Entwicklung?
Man muss sehen, woher wir kommen: Berlin hat in den 1990er Jahren mit dem Verkauf der Gasag und der Bewag die gesamte Energiekompetenz abgebaut. Wir kamen faktisch von null in der Energiepolitik und mussten Aufbauarbeit leisten. Jetzt können wir wieder agieren und bringen die Energiewende voran.
Wie sieht es mit den Produktionskapazitäten beim Stadtwerk aus?
Im vergangenen Jahr waren wir auf die Fläche gemessen Spitzenreiter beim Ausbau der Photovoltaik. Die Stadtwerke haben dabei von den 11 Megawatt Ausbau in Berlin 40 Prozent beigesteuert. Dazu kamen 2,3 Megawatt Windenergie.
Wie wollen Sie die Energiewende weiter vorantreiben?
Wir machen bereits jetzt Mieterstrommodelle gemeinsam mit den Wohnungsbaugesellschaften. Auch auf der JVA Plötzensee und der Feuerwehr in Charlottenburg gibt es beispielsweise Photovoltaik-Dächer. Aber das Potenzial ist größer, wir werden es mit dem Masterplan Solar heben.
Wann kommt der?
Der kommt 2019, den Beteiligungsprozess haben wir bereits gestartet. Die Solarwende in Berlin macht nicht der Senat allein. daher erstellen wir den Masterplan Solarcity gemeinsam mit den Berliner Schlüsselakteuren der Solarbranche. Parallel dazu haben wir den Wirtschaftsdialog Energie initiiert, um die Umsetzung der Energiewende zügig und substantiell voranzubringen.