Tagesspiegel: Beatrice Kramm und Ramona Pop in New York

Die vergangene Woche verbrachte eine Wirtschaftsdelegation aus Berlin in den Vereinigten Staaten. Von Montag bis Freitag ging es unter der Führung von Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) darum, für den Standort Berlin zu werben. Wichtigster Programmpunkt: die Eröffnung einer Berliner Wirtschaftsvertretung.

Neben Pop und IHK-Präsidentin Kramm reisten 26 Berliner Unternehmen sowie Vertreter des Standortvermarkters Berlin Partner, der IHK Berlin und der Tourismusagentur VisitBerlin mit.

Es ging nicht nur nach New York, sondern auch nach Boston. Die inhaltlichen Schwerpunkte der Delegation lagen auf den Leitbranchen nachhaltige Urbanisierung und Infrastruktur, Gesundheitswirtschaft und digitale Wirtschaft. Auf dem Reiseplan standen Firmenbesuche und Unternehmergespräche. Auch in Peking unterhält Berlin ein Wirtschaftsbüro, es wurde vor einem Jahr eröffnet.

Berlins Exporte in die USA beliefen sich zuletzt auf 1,8 Millionen Euro, was einem Anteil von 12,4 Prozent am Berliner Gesamtexport entspricht. Damit ist Amerika der wichtigste Exportmarkt für Berliner Unternehmen. Und das mit großem Abstand: Berlins Betriebe führten in die USA genauso viel Waren und Dienstleistungen aus wie nach China und Frankreich zusammen, die bei den Exportmärkten Platz zwei und drei einnehmen.

Im Interview sprechen Ramona Pop und Beatrice Kamm über Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Berlin und New York, über Gentrifizierung, Digitalwirtschaft und Verwaltung.

Ramona Pop ist seit 2016 Bürgermeisterin von Berlin sowie Senatorin für Wirtschaft, Energie und Betriebe. Zuvor war Pop Fraktionschefin der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus.

Beatrice Kramm ist seit 2016 Präsidentin der Industrie- und Handelskammer Berlin (IHK). Die gebürtige Hamburgerin ist zudem Geschäftsführerin der Polyphon Film- und Fernsehgesellschaft.

Der amerikanische Musiker James Murphy singt in einem seiner Lieder, dass er New York zwar liebe, ihn die Stadt aber gleichzeitig um den Verstand bringe. Wie ist es Ihrem Verstand ergangen in New York, Frau Pop?
Pop: Das müssen im Zweifel andere beurteilen. Aber es stimmt, New York ist eine sehr fordernde und herausfordernde Stadt, die schnell, laut und lebendig ist. Das macht es spannend hier, aber eben auch sehr anstrengend.

Und wie sieht es mit den amourösen Gefühlen aus, haben Sie die für die Stadt entwickelt?
Pop: Die sowieso!

Kramm: New York ist eine beeindruckende Stadt, voll von atemberaubender Architektur und Inspiration, wie man sie sonst nirgends findet. Von daher ja, auch ich liebe New York.

Frau Pop, sie haben Eric Adams getroffen, den Bürgermeister von Brooklyn. Das ist ein Bezirk, der sich innerhalb weniger Jahre von einem schmuddeligen Flecken zu einem attraktiven Standort für Wirtschaft, Kultur und Wissen entwickelt hat. Was kann Berlin von Brooklyn lernen?
Pop: Die Verwaltung von Brooklyn hat viel dafür getan, den Bezirk zu einem Zentrum der Digitalwirtschaft zu entwickeln. Aber sie hat auch Raum geschaffen, um die Industrie in der Stadt zu halten, etwa mit dem Navy Yard, einer ehemaligen Schiffswerft. Dort haben mittlerweile Hunderte Unternehmen aus dem verarbeitenden Gewerbe eine Heimat gefunden. Auf andere Dinge möchte ich aber lieber verzichten.

Und die wären?
Pop: Das Verkehrschaos auf den Straßen etwa. Aber auch die Probleme der Gentrifizierung, die man hier ebenfalls kennt und die noch stärker ausfallen als bei uns. Ich habe auf der Reise erfahren, dass New York im letzten Jahr nicht mehr gewachsen, sondern um rund 50.000 Einwohner geschrumpft ist, weil bezahlbare Wohnungen knapp werden und sich viele Menschen das Leben in der Stadt nicht mehr leisten können. Das finde ich beklemmend.

Kramm: Die Flächenknappheit bekommen ja auch die Unternehmen bei uns längst zu spüren. Die Wirtschaft findet sich da in einer Konkurrenzsituation mit privaten Mietern wieder. Natürlich wollen wir, dass sich unsere Mitarbeiter eine Wohnung in der Stadt leisten können. Gleichzeitig erwarte ich allerdings, dass Gewerbeflächen in der Stadt nicht nur erhalten, sondern auch ausgebaut werden.

Pop: Da bekommst Du meine volle Unterstützung. Ich wünsche mir in Berlin mehr Bewusstsein darüber, dass wir auch Gewerbeflächen in der Stadt brauchen, und dass die Unternehmen in dieser Konkurrenzsituation mit dem Wohnungsmarkt nicht so häufig den Kürzeren ziehen. Wir sind eine wachsende Metropole. Bei aller Unterstützung für die verschiedenen Bedarfe dürfen wir die Arbeitsplatzentwicklung nicht aus dem Blick verlieren. In New York ist dieses Bewusstsein für die Wirtschaft eher vorhanden.

Aber nicht in allen Fällen: Ähnlich wie bei Google in Kreuzberg sind in New York die Pläne von Amazon gescheitert, eine große Unternehmensniederlassung zu bauen. Warum schlägt Unternehmen in Großstädten mittlerweile eine so große Antipathie entgegen?
Kramm: Ich habe auf der Reise mit New Yorkern gesprochen, die schockiert darüber waren, dass so was in ihrer Stadt passiert ist; dass sich ein Großkonzern zurückgezogen hat, weil Anwohner und Lokalpolitiker sich gegen eine Ansiedlung gesperrt haben. Im Berliner Fall hatte ich den Eindruck, dass man sich in Kreuzberg gar nicht damit beschäftigt hat, welche positiven Auswirkungen sich aus einer Ansiedlung von Google hätten ergeben können für die Menschen und auch den Bezirk. Denn durch den Campus wären neue Arbeitsplätze und damit auch neuer Wohlstand entstanden. Es ist besorgniserregend, dass man den Menschen mittlerweile nicht mehr vermitteln kann, dass wirtschaftliche Entwicklung etwas Positives ist.

Pop: So ganz sind die Fälle Kreuzberg und Brooklyn nicht zu vergleichen. Bei Google in Kreuzberg sollten einige wenige Arbeitsplätze entstehen, bei Amazon in der Bronx Tausende. Google hat übrigens unabhängig davon sein neues Büro mit Platz für rund 450 Mitarbeiter in Berlin Anfang des Jahres eröffnet. Und überhaupt reicht der einfache Hinweis darauf, dass mit Wirtschaftsansiedlungen Arbeitsplätze entstehen, nicht mehr aus, wenn wir gleichzeitig gegen die Klimakrise kämpfen. Die Unternehmen müssen zur Kenntnis nehmen, dass es in Deutschland eine Diskussion darüber gibt, dass manche von ihnen ihre soziale und auch ökologische Verantwortung aus dem Blick verloren haben. Da gibt es für viele Unternehmer noch einiges zu tun und ich bin froh über jeden Unternehmer, der bereit ist, sich da zu engagieren.

Kramm: Hier muss ich widersprechen: Die Unternehmen unserer Stadt sind sich sehr wohl ihrer Verantwortung bewusst und das beweist auch das große soziale Engagement, das sie in Berlin leisten. In Kreuzberg ging es um einen bestimmten Ort mit einem sehr spezifischen Umfeld. Das erkennt man auch am Beispiel Siemensstadt in Spandau, wo es keine vergleichbaren Proteste gegen die Ansiedlung gibt. Ich finde deshalb den Vorwurf unfair, wir würden uns unserer Verantwortung nicht stellen.

Aber dass es diesen Vorwurf gibt, lässt sich ja nicht ignorieren …
Kramm: Das will ich auch gar nicht, aber ich bin davon überzeugt, dass er nicht zutrifft. Wir Unternehmer haben ein Problem damit, zu vermitteln, welchen wertvollen Beitrag wir für die Stadt leisten. Und als Hamburgerin muss ich sagen: Dort gibt es eine ganz andere Tradition, die Kaufleute sind dort als renommierte Förderer der Stadtgesellschaft anerkannt. Diese Förderer gibt es in Berlin auch, die gleiche Wertschätzung erhalten sie aber leider nicht.

Keine unterschiedlichen Auffassungen kann es hinsichtlich des Stands der Digitalisierung geben: Da hinken sowohl Verwaltung wie auch Berliner Wirtschaft hinterher – seit Jahren schon. Warum ist es so schwierig, hier Fortschritte zu machen?
Pop: Die Veränderungen durch die Digitalisierung ziehen sich durch alle Bereiche und ich habe manchmal den Eindruck, dass das Bewusstsein darüber noch nicht bei allen angekommen ist. Amerika zeigt hier aber, wie es besser ginge: In New York wird regelmäßig die Digitalwirtschaft dazu aufgerufen, sich an Wettbewerben zu beteiligen, um die Probleme der Stadt zu lösen. Wer da die beste Idee liefert, bekommt anschließend auch den Auftrag – das halte ich für eine clevere Idee, die sich für beide Seiten, für Verwaltung und Unternehmen, auszahlen kann.

Kramm: Das kann ich nur unterstützen. Ich würde mir ganz allgemein von der Verwaltungsseite manchmal wünschen, dass es eine höhere Offenheit dafür gibt, noch mehr mit der Privatwirtschaft zusammenzuarbeiten. Denn gerade in Berlin gibt es viele Start-ups, die Lösungen anbieten, die für die Verwaltung bei der digitalen Transformation hilfreich sein könnten.

Zu guter Letzt: Was vermissen Sie an Berlin in der Ferne am meisten?
Langes Schweigen.